Immer mehr "Hartz-Aufstocker"

Nürnberg/Berlin (dpa) - Immer mehr Berufstätige sind wegen ihres niedrigen Einkommens zusätzlich auf Hartz IV angewiesen. Im vergangenen Jahr erhielten im Schnitt 1,383 Millionen Menschen diese ergänzende staatliche Unterstützung.

Das sind 4,4 Prozent mehr sogenannte Aufstocker als im Vorjahr und 13 Prozent mehr als im Jahr 2007, wie aus einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) hervorgeht, aus der die „Bild“-Zeitung berichtete. Ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums verwies dazu am Freitag auf die aktuell stark anziehende Nachfrage nach Arbeitskräften. Dies gelte für reguläre, sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten wie auch für sogenannte Arbeitsgelegenheiten für Langzeitarbeitslose. Unter diesen Umständen sei die Entwicklung nicht überraschend. Die Bundesregierung werde aber die Entwicklung im Auge behalten und prüfen, ob gegengesteuert werden müsse.

Eine BA-Sprecherin erklärte, die Interpretation der Zahlen sei schwierig. „Es ist schön, wenn Arbeitslose eine Beschäftigung annehmen, auch wenn diese nicht so gut bezahlt wird.“ Auch sei es unterstützenswert, wenn ein Erwerbsloser zunächst Teilzeit arbeite, um später vielleicht auf Vollzeit umsteigen zu können. „Es wird aber auch das Phänomen geben, dass die Arbeitgeber wissen: Wenn ich nur soundsoviel zahle, wird das aufgestockt“, erläuterte die Fachfrau.

Besonders stark gestiegen ist der Anteil der Aufstocker unter den Selbstständigen, bei Teilzeit-Angestellten und Minijobber. In Ostdeutschland beziehen dem Bericht zufolge mit 5,0 Prozent deutlich mehr Beschäftigte zusätzliche Unterstützung als im Westen (2,1 Prozent). Besonders viele Betroffene arbeiteten in der Zeitarbeit, der Gastronomie, in Dienstleistungsberufen sowie in Privathaushalten.

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach kritisierte: „Es ist ein Unding, dass Arbeitgeber Millionen Beschäftigten Hungerlöhne zahlen, die dann aus Steuermitteln aufgestockt werden.“ Sie forderte, die „milliardenschwere Subventionierung des Lohndumpings“ durch einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro sowie gleichen Lohn für gleiche Arbeit in der Leiharbeit zu beenden. Immerhin seien 350 000 Arbeitnehmer trotz Vollzeitbeschäftigung auf Hartz IV angewiesen.

Die Arbeitgebervereinigung BDA hielt dagegen: Die meisten Vollzeit beschäftigten Aufstocker bezögen allein wegen der Größe ihrer Familie ergänzendes Arbeitslosengeld II. Die Zahl der alleinstehenden Vollzeitbeschäftigten ohne Kinder, die länger als ein Jahr zu diesem Kreis gehörten, sei mit 11 500 Betroffenen dagegen äußerst gering. Ein gesetzlicher Mindestlohn würde vor allem Langzeitarbeitslosen und Geringqualifizierten laut BDA die Chance auf Einstieg in Arbeit „massiv erschweren“.

SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil sprach von einer beschämenden Entwicklung. Die Zunahme prekärer Beschäftigung komme auch den Steuerzahler teuer zu stehen. „Wir brauchen dringend eine neue Ordnung für Arbeit.“ Heil forderte - zusammen mit Grünen und Linken - Union und FDP auf, einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro nicht länger zu blockieren.