Immer mehr Selbstständige brauchen Hartz IV

Nürnberg/München (dpa) - Immer mehr Selbstständige in Deutschland sind wegen schlechter Geschäfte zusätzlich auf Hartz IV angewiesen.

Die Zahl der betroffenen sogenannten Aufstocker sei von 2007 bis 2010 um mehr als 50 000 auf etwa 125 000 im Jahresdurchschnitt gestiegen, teilte eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit (BA) am Dienstag mit. Sie bestätigte damit einen entsprechenden Bericht „Süddeutschen Zeitung“. Insgesamt gibt es in Deutschland rund 4,75 Millionen Selbstständige.

Einen deutlichen Anstieg der Aufstocker unter den Selbstständigen hatten die Jobcenter bereits 2008 verzeichnet. Damals kletterte die Zahl der auf Hartz IV angewiesenen Selbstständigen von rund 72 000 auf knapp 96 000 - und stieg im Jahr 2010 erneut deutlich.

Arbeitsvermittler in den Jobcentern beobachteten dieses Phänomen mit Sorge, weil sie einen Missbrauch des Sozialstaates befürchteten. Denn Selbstständige könnten ihr Einkommen so herunterrechnen, dass sie auf dem Papier Anspruch auf die Hilfe zum Lebensunterhalt hätten, obwohl sie auf das Geld gar nicht angewiesen seien.

Nach Recherchen der Zeitung tauchen in den Jobcentern immer wieder sogar Firmeninhaber mit mehreren Mitarbeitern auf, beantragen Hartz IV und bekommen es auch.

BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt sprach sich für eine Debatte darüber aus, ob sich die Bezugsdauer von staatlichen Grundsicherungsleistungen für Selbstständige zeitlich begrenzen lasse. „Irgendwann muss man schwarze Zahlen schreiben oder - so weh es tut - die Selbstständigkeit aufgeben“, sagte er dem Blatt. „Der Steuerzahler kann nicht auf Dauer eine nicht tragfähige Geschäftsidee mitfinanzieren.“

Das Bundesarbeitsministerium sprach sich daraufhin für verstärkte Kontrollen aus: „Wo es Missbrauchsverdacht gibt, muss das geprüft werden“, sagte ein Sprecher. Dem Ministerium seien keine Daten bekannt, wie lange Selbstständige Hartz IV beziehen. Dass 85 000 der aufstockenden Selbstständigen weniger als 400 Euro verdienen, deutet dem Sprecher zufolge darauf hin, „dass es sich um Selbstständige handelt, die ausschließlich in Teilzeitarbeit tätig sind“.

Unterdessen haben Arbeitsmarktforscher erneut Hartz-IV-Empfängern schlechte Jobchancen attestiert. Ihr Problem ist nach einer am Dienstag veröffentlichten Studie die Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), dass sie selten lange in einem Job bleiben.

Fast die Hälfte (45 Prozent) sei nach maximal einem halben Jahr wieder arbeitslos. Viele ehemals Erwerbslose müssten zudem weiterhin staatliche Unterstützung beziehen, weil der Lohn nicht für den Lebensunterhalt reiche. Nur 56 Prozent der ehemaligen Hartz-IV-Empfänger, die eine Vollzeitstelle gefunden hatten, konnten langfristig auf staatliche Unterstützung verzichten.