Analyse Innere Sicherheit bringt die Grünen in die Defensive

Berlin. Wer sich am Montag auf der Internetseite der Grünen unter dem Stichwort "Themen" informieren wollte, bekam ausschließlich die Herzblutanliegen der Partei serviert: "Offene Gesellschaft, gutes Essen, Klima schützen, Gerechtigkeit".

Die Bundesvorsitzenden der Grünen, Simone Peter und Cem Özdemir verfolgen unterschiedliche Ziele. (Archivfoto)

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Die Parteiführung war da notgedrungenermaßen schon weiter. Für ihre Jahresauftaktklausur, die am Dienstag in Berlin endet, wurde der Schwerpunkt "Mobilität der Zukunft" noch kurzfristig um einen Gastbesuch von Holger Münch ergänzt - der Präsident des Bundeskriminalamtes referierte zur "inneren Sicherheit".

Mit dem schrecklichen Attentat in Berlin und der hitzigen Diskussion über den Polizeieinsatz in der Kölner Silvesternacht wurden die Grünen zweifellos auf dem falschen Fuß erwischt. Anstatt mit der Urwahl zur grünen Spitzenkandidatur für Wohlfühlatmosphäre zu sorgen, muss sich die Partei zu einem Thema positionieren, das noch nie zum grünen Markenzeichen gehörte.

Fast fühlt man sich an den Wahlkampf des Jahres 1990 erinnert. Damals sprach alle Welt von der Deutschen Einheit, doch die Grünen mochten auf ihren Wahlplakaten ironisch lieber "vom Wetter" reden und verbauten sich damit den Wiedereinzug in den Bundestag. Ganz so schlimm dürfte es diesmal wohl nicht kommen. Aber hart wird der Wahlkampf für die Grünen allemal, schwant auch Parteichef Cem Özdemir.

Dabei stehen die Grünen in der Sicherheitsdebatte keineswegs am Nullpunkt. Seit Jahren fordert man eine stärkere Polizeipräsenz, und grüne Konzepte zur Asylverschärfung liegen ebenfalls schon länger in der Schublade. Nur hat die Öffentlichkeit kaum Notiz davon genommen. Die Grünen selbst hängen das auch nicht an die große Glocke. Lieber ist man Anwalt der Bürger- und Menschrechte.

Inzwischen besetzt die Partei in elf von 16 Bundesländern alle möglichen Regierungsposten. Aber ein grüner Innenminister ist noch nie darunter gewesen. Umso stärker schwappt die Empörungswelle über, wenn sich etwa Co-Chefin Simone Peter von den Sicherheitskräften in der Domstadt kritisch distanziert und damit grüne Klischees bedient. Oder wenn sich die Partei an so exotischen Forderungen festbeißt wie aktuell an kassenfinanzierten Sex-Dienstleistungen für Pflegebedürftige.

Nun ist es zwar sicher richtig, die grüne Stammklientel bei Laune zu halten. Eine ausschließliche Konzentration darauf birgt allerdings auch die Gefahr der politischen Bedeutungslosigkeit - siehe 1990. Seit Jahren liegt die Partei in den Umfragen stabil zwischen zehn und zwölf Prozent. Neuerdings aber taxieren manche Demoskopen die Grünen nur noch bei neun Prozent. Das könnte ein Indiz dafür sein, dass sich Wechselwähler von der Partei abwenden. Problematisch dabei ist, dass ein grünes Machtzentrum fehlt.

Peter und Özdemir reden mehr aneinander vorbei als zusammen. Die eine schielt auf Rot-Rot-Grün, der andere auf Schwarz-Grün. Baden-Württembergs grüner Regierungschef Winfried Kretschmann spielt offenbar komplett auf eigene Rechnung, genauso wie sein Intimfeind Jürgen Trittin, der sich ebenfalls nicht in eine grüne Gesamtstrategie einbinden lässt.

Im "Spiegel" brachte sich Trittin jetzt als Minister einer künftigen Bundesregierung ins Spiel. Dabei war der Wahlkampf 2013 unter seiner Regie kräftig in die Hose gegangen. Damals suchten die Grünen das Wahlvolk mit Steuerhöhungen zu beglücken. Auch so ein Thema, das Wechselwähler verschreckte. Am Ende landete man bei mageren 8,4 Prozent.

Den ehemaligen Parteichef Reinhard Bütikofer treibt die Sorge um, dass sich ein solches Szenario nun wiederholen könnte. "Ausgreifen oder irrelevant sein", darin bestünden die grünen Alternativen für 2017, mahnte er kürzlich die Seinen. Er könnte Recht behalten.