Italiens Flüchtlingspolitik entfacht Streit in Deutschland
Berlin (dpa) - Italiens Flüchtlingspolitik sorgt in Deutschland weiter für Streit. Während sich die Bundesregierung gegen die Aufnahme von Wirtschaftsflüchtlingen aus Nordafrika sperrt, fordern die Oppositionsparteien im Bundestag mehr Solidarität in der Europäischen Union (EU).
Auch der Koalitionspartner FDP warnt vor einzelstaatlicher Abschottung und plädiert für eine sachliche Debatte. Bayern kündigte am Dienstag an, die verdachtsunabhängigen Kontrollen in grenznahen Gebieten zu verstärken. „Die bayerische Polizei richtet im Rahmen der Schleierfahndung ein besonderes Augenmerk auf illegale Migranten“, sagte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nach Angaben eines Sprechers.
Man könne Deutschland indes nicht vorwerfen, es verhalte sich bei der Aufnahme von Asylbewerbern nicht solidarisch. „Im Jahr 2010 hat Deutschland mit 48 500 Asylbewerbern nach Frankreich die höchste Anzahl innerhalb der Europäischen Union zu verzeichnen“, sagte er.
Italien hatte in der vergangenen Woche angekündigt, Flüchtlingen befristete Aufenthaltsgenehmigungen geben zu wollen, mit denen sie legal in andere EU-Staaten reisen können. Vor allem Deutschland macht neben Frankreich dagegen massiv Front. Das Innenministerium erklärte in Berlin, dass die von Italien ausgestellten Visa in Deutschland nicht anerkannt würden, ließ aber offen, wie man konkret mit Flüchtlingen umgehen wolle.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) kündigte „situationsangepasst“ verschärfte Grenzkontrollen an. Allerdings sei keine grundlegende Änderung der Kontrollsysteme geplant. Auch warnte er erneut vor Signalen, dass die Grenzen nach Europa offen seien.
Für seine Kritik an Italiens Umgang mit Flüchtlingen aus Nordafrika erhielt Friedrich am Dienstag Rückendeckung von der Union. Die Linie von Schwarz-Gelb stehe in der Kontinuität dessen, „was alle anderen europäischen Länder die letzten zehn Jahre gemacht haben, bis heute machen“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Union, Peter Altmaier (CDU). Das Vorgehen sei gerechtfertigt und richtig.
Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) sprach sich für Sanktionen gegen Italien aus, sollte Rom nicht einlenken. „Dann müssen wir die finanzielle Hilfe einfrieren“, sagte er der „Bild“-Zeitung (Dienstag). Brüssel unterstützt derzeit Mitgliedsländer mit EU-Außengrenzen mit Geld aus Fonds, um die Grenzen zu schützen, Flüchtlinge zu integrieren oder zurückzubringen. Italien hat EU-Angaben zufolge für 2010 und 2011 rund 81,5 Millionen Euro bekommen.
Schünemann bekräftigte seine Auffassung, dass es sich bei den nordafrikanischen Flüchtlingen größtenteils nicht um politisch Verfolgte handele. „Über 90 Prozent der Ankömmlinge auf Lampedusa sind reine Arbeitsmigranten. Wenn wir die aufnehmen, wäre das ein fatales Signal.“ Stattdessen müsse der Einsatz der EU-Grenzpolizei Frontex vor der tunesischen Küsten ausgeweitet werden.
Der integrationspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Serkan Tören, warnte indes vor einer „Schotten-dicht-Politik“. Man brauche eine gemeinsame europäische Lösung. „Wir dürfen keine Angst vor einer neuen Lastenverteilung haben.“ Ziel müsse eine effiziente und gerechte Verteilung sein. „Eine einseitige Belastung zum Nachteil weniger Staaten, wie etwa Deutschland, darf es nicht geben.“
Der Grünen-Fraktionschef im Bundestag, Jürgen Trittin, warf Innenminister Friedrich vor, die Freizügigkeit in Europa abschaffen zu wollen. „Das ist reine Schikane und ökonomischer Blödsinn.“ Der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, forderte im Deutschlandfunk einen neuen Mechanismus in der EU, um Flüchtlinge, die in einem EU-Staat ankommen, auf andere EU-Länder zu verteilen.
Linke-Innenexpertin Ulla Jelpke hielt der Bundesregierung vor, Vorurteile gegen Flüchtlinge aus Nordafrika zu schüren. „Menschen, die aus ihren Herkunftsstaaten fliehen, werden pauschal als Wirtschaftsflüchtlinge diffamiert.“