Kassen-Milliarden wecken Begehrlichkeiten
Gesetzliche Versicherungen haben 11,5 Milliarden Euro Reserve. Was soll mit dem Geld passieren?
Berlin. Unnötige Operationen, Chaos bei Arzneiverordnungen, Ärzte-Hopping bei den Patienten — eigentlich zielen die neuesten Reformvorschläge für das Gesundheitswesen auf die Reibungsverluste zwischen Kliniken und Praxen ab.
Doch die Kontroverse über die Rekordreserve der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) überschattet das Nachdenken über solche Probleme. Der Chef des zuständigen Sachverständigenrats, Eberhard Wille, sagt sogar eine neue Welle von Zusatzbeiträgen voraus.
Kurz vor der Übergabe des Gutachtens der obersten Berater im Gesundheitsministerium legte das Ressort die neuen Zahlen zu den Kassen vor — ihr Geldpolster ist auf 11,5 Milliarden Euro gewachsen.
Hausherr Daniel Bahr (FDP) nutzt die Übergabe der Expertenratschläge, um den Druck auf besonders gut dastehende Kassen zu erhöhen. Prämien sollen sie ausschütten. „Das Geld auf dem Konto ist das Geld der Versicherten.“ Er warte ab, aber rechtlich sei es auch möglich, die Kassen dazu zu zwingen.
Deren Verbandschefin Doris Pfeiffer wehrt ab: „Anders als in der privaten Krankenversicherung gehen Überschüsse zum Beispiel nicht als Gewinne in die Taschen von Aktionären.“ Die Reserven sollten für die künftige Versorgung der Patienten aufgehoben werden.
Sind schlechtere Zeiten schon wieder absehbar? Es ist noch gar nicht so lange her, dass die DAK und weitere Kassen Mitglieder mit Zusatzbeiträgen in Heerscharen vergraulten. Über Monate redete kaum noch jemand über diesen ungeliebten Aufschlag — bis jetzt der Vorsitzende des Sachverständigenrats Alarm schlägt.
In der zweiten Hälfte 2013, spätestens aber 2014 werde ein Großteil der Kassen wieder Zusatzbeiträge erheben, sagt Wille. „Ich sehe diese Überschüsse als temporäres Problem.“
Die AOK stimmt darin ein. Die Regierung habe ja erst Sonderzuwendungen an die Krankenhäuser von 280 Millionen Euro auf den Weg gebracht, sagt AOK-Chef Jürgen Graalmann. „Damit sorgt sie für erste Wolken am blauen Finanzhimmel der GKV.“
Bahr sagt: „Ich teile nicht die Prognose von Prof. Wille, dass wir 2013 mit Zusatzbeiträgen in relevanter Größenordnung zu rechnen haben.“ Millionen Versicherte könnten von Ausschüttungen profitieren, wenn sich die Kassen einen Ruck gäben.