Knapp jeder Fünfte von Armut betroffen
Wiesbaden (dpa) - Kein Geld für Telefon, Heizen oder den Kinobesuch: Fast jeder fünfte Einwohner in Deutschland war 2012 von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen. Etwa 16 Millionen Menschen oder 19,6 Prozent der Bevölkerung zählten dazu - 2011 waren es mit 19,9 Prozent noch etwas mehr.
Das ist das Ergebnis der Untersuchung „Leben in Europa 2012“, die das Statistische Bundesamt (Destatis) in Wiesbaden am Dienstag vorstellte. Frauen waren mit 21,1 Prozent häufiger betroffen als Männer (18,1).
„Armut ist mehr als nur Einkommensarmut“, betonte Destatis-Expertin Silvia Deckl. Auch wer ein Gehalt verdiene, das über der Schwelle liege, könne von sozialer Teilhabe ausgeschlossen sein.
Deswegen errechnen die Statistiker die Quote aus drei Kriterien: Sie schauen nach der Armutsgefährdungsquote, nach materiellen Einschränkungen und dem Grad der Erwerbstätigkeit. „Als arm oder sozial ausgegrenzt gilt eine Person dann, wenn eines oder mehr der drei (...) Kriterien auf sie zutreffen.“
Armut in Deutschland dürfe nicht mehr wegdiskutiert werden, erklärte die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher. Deren Bekämpfung müsse „ganz nach oben auf die politische Tagesordnung der neuen Bundesregierung“. Der gesetzliche Mindestlohn müsse schnellstens verabschiedet werden.
Von Armut bedroht waren zuletzt 16,1 Prozent oder rund 13 Millionen Menschen. Die betroffenen Singles haben weniger als 980 Euro im Monat zur Verfügung, Familien mit zwei Kindern weniger als 2058 Euro.
Für 4,9 Prozent gehörten „erhebliche materielle Entbehrungen“ zum Alltag. Das bedeutet: Die Menschen haben beispielsweise Probleme, ihre Miete oder die Heizkosten zu zahlen. Oder bei ihnen kommt nicht alle zwei Tage eine volle Mahlzeit auf den Tisch, auch ein Telefon, Fernseher oder eine Reise sind nicht drin.
Schließlich ermittelten die Statistiker den Anteil der Bevölkerung, die in Haushalten mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung leben - es waren 9,8 Prozent. Für die Untersuchung erfassten die Statistiker rund 13 100 Haushalte mit 27 900 Personen.
Nach einer Studie der Universität von Edinburgh (Großbritannien) sind deutsche Arbeitslose wesentlich unzufriedener mit ihrer Situation als Schicksalsgenossen in anderen europäischen Ländern. Arbeitslosigkeit in Spanien, Polen oder Rumänien habe die vergleichsweise geringsten Folgen auf das persönliche Wohlbefinden, berichteten die Wissenschaftler.
Die Höhe der Sozialleistungen habe zudem keinen Effekt auf den Grad der Zufriedenheit. Einige Länder mit den höchsten Leistungen hätten teils auch die unglücklichsten Erwerbslosen. Die Studie auf Basis verschiedener Statistiken umfasste alle EU-Länder und Norwegen.