Nachunternehmerhaftung Knochenjob Paketbote - So will Heil den Zustellern helfen

Berlin · Wer sich über Paketboten aufregt, vergisst oft: Viele von ihnen arbeiten unter miesen Bedingungen. Das soll sich ändern - wenn sich die Bundesregierung einigen kann.

Ein Paketbote liefert Pakete aus.

Foto: dpa/Oliver Berg

Mehr als 3,5 Milliarden Pakete werden in diesem Jahr in Deutschland ausgeliefert - dem boomenden Onlinehandel sei Dank. Für die Paketboten bedeutet das: Pro Stunde müssen sie schon mal ein Dutzend Sendungen zustellen, darunter Kühlschränke, Weihnachtsgeschenke, Bücher, sperrige Klamotten-Pakete. Im Laufschritt hoch in den vierten Stock, klingeln, abgeben, Unterschrift, weiter. Paketbote ist ein Knochenjob - mit häufig schlechter Bezahlung. Da wundert es kaum, dass manche Zusteller in der Eile Abholzettel hinterlassen mit Notizen wie: Paket abgegeben bei „irgendein Nachbar“.

Weil der Markt für Paketdienste stark wächst, müssen immer häufiger Fahrer aus Süd- und Osteuropa aushelfen, oft schlecht bezahlt und nicht ordnungsgemäß versichert. Genau dagegen will Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) jetzt vorgehen. Doch er riskiert Streit in der Bundesregierung.

Was ist das Problem?

Firmen wie DHL, DPD, UPS, Hermes und GLS machen gerade gute Geschäfte - andererseits finden sie bei den niedrigen Löhnen auch kaum Fahrer. „Der Arbeitsmarkt ist leer gefegt“, sagte Hermes-Deutschland-Chef Olaf Schabirosky im Dezember. Einige Anbieter lagern die Zustellung an Subunternehmer aus, die dann Fahrer aus dem Ausland - aus der Ukraine, aus Moldawien, aus Weißrussland - anheuern. Für diese bezahlen sie nach Gewerkschaftsangaben zufolge teilweise keine Sozialbeiträge. Schlechte Bezahlung, sagt Arbeitsminister Heil, sei eine Sache - aber dass dann auch noch der soziale Schutz ausgehebelt werde, könne er nicht hinnehmen. „Es zerbricht der soziale Frieden in unserem Land, wenn man solcher Missentwicklung tatenlos zuguckt“, betont er.

Was will der Arbeitsminister tun?

Heil will die großen Paketdienste verpflichten, selbst Sozialabgaben für ihre Subunternehmer zu zahlen, wenn diese beim Mindestlohn betrügen. Eine solche Nachunternehmerhaftung gibt es bereits in der Bau- und in der Fleischbranche. Aus der Arbeitsfassung des Gesetzentwurfs geht hervor, dass jetzt die Paketbranche in Paragraf 28 des Sozialgesetzbuchs IV aufgenommen werden soll. Alternativen gebe es nicht.

Was ändert sich damit für die Unternehmen?

Die großen Lieferunternehmen müssen dann kontrollieren, ob ihre Subunternehmer die gesetzlichen Bedingungen einhalten. Das bedeutet einen höheren bürokratischen Aufwand. Umgehen können die Unternehmen die Haftung nur, wenn ihre Subunternehmen vorab besonders geprüft sind. Übrigens setzen nicht alle Paketdienste gleichermaßen auf Subunternehmer: Marktführer DHL lässt nach eigenen Angaben 98 Prozent seiner Pakete durch eigene Zusteller ausliefern, auch UPS beschäftigt viele eigene Boten.

Warum gibt es Streit in der Bundesregierung?

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sorgt sich um die Lieferunternehmen. Angesichts der schwächelnden Konjunktur hatte er vorgeschlagen, Maßnahmen aufzuschieben, die die Wirtschaft belasten könnten. „Deshalb kommt die Debatte, die Herr Heil ohne vorherige Absprache losgetreten hat, zur Unzeit“, betonte er.

Wer setzt sich durch?

Das ist offen. Nicht alle in der CDU stehen auf Altmaiers Seite, so hat NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann zusammen mit Niedersachsen und Bremen selbst eine entsprechende Bundesratsinitiative angeschoben. „Ich freue mich, dass nun Bundesarbeitsminister Heil dieser Forderung nachkommen will“, sagt er nun. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dagegen ist skeptisch: „Aus meiner Sicht sind wir noch nicht an dem Punkt angekommen, die Nachunternehmerhaftung auch für diese Branche durchzusetzen“, sagte sie neulich im Bundestag. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) setzt auf einen Kompromiss.

Sind die Arbeitsbedingungen der Paketboten wirklich so schlecht?

„Es gibt erhebliche Belege für massiven Missbrauch, also Schwarzgeldzahlungen und Sozialversicherungsbetrug durch Subunternehmer-Konstruktionen“, sagt Heil. Laut Verdi-Chef Frank Bsirske werden Stundenlöhne von 4,50 Euro oder 6 Euro gezahlt bei Arbeitszeiten von 12 oder sogar 16 Stunden pro Tag. Tatsächlich gab es nach einer bundesweiten Zoll-Razzia Hinweise, dass jeder sechste Arbeitsplatz mindestens fragwürdig ist. Außerdem ist das mittlere Bruttomonatsentgelt der Zusteller in den vergangenen zehn Jahren um 13,3 Prozent auf 2478 Euro gesunken. In der Gesamtwirtschaft stiegen die Löhne im gleichen Zeitraum um 23,7 Prozent.

Was sagen die Paketdienste?

Sie weisen den Vorwurf zurück, die Löhne durch den Einsatz der Subunternehmer bewusst zu drücken. Der Bundesverband Paket & Expresslogistik erklärte, die Unternehmen verpflichteten ihre Vertragspartner zur Zahlung des Mindestlohns und zur Aufzeichnung der Arbeitszeit. Der BDA mahnte, der Staat dürfe seine eigene Aufgabe, die Überwachung des Mindestlohns, nicht einfach auf die Unternehmen abwälzen. Diese hätten kaum Möglichkeiten, Rechtsverstöße bei einem Vertragspartner auszuschließen und gingen deshalb unverhältnismäßig hohe Haftungsrisiken ein.

Werden Pakete nach der Gesetzesänderung teurer?

Damit müssen Verbraucher ohnehin rechnen. „Generell müssen sich die Kunden auf steigende Paketpreise einstellen“, sagte Post-Chef Frank Appel der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“. Man wolle keinen Niedriglohnwettbewerb, müsse Lohn- und Kostensteigerungen deshalb an die Kunden weitergeben. „Ich vermute auch, dass sich unsere Wettbewerber daran orientieren“, sagte Appel. Die Post-Tochter DHL ist mit einem Marktanteil von mehr als 45 Prozent bundesweit der größte Paketdienst.

(dpa)