Koalition streitet über Steuersenkung
Berlin (dpa) - Der Steuerstreit in der schwarz-gelben Koalition geht in eine neue Runde. Nach Angaben aus der Union soll die Entscheidung über die angepeilten Steuersenkungen auf Herbst verschoben werden.
Ein bis zur Sommerpause angesetztes Spitzentreffen der Koalition wäre damit hinfällig.
Die FDP dagegen beharrte am Dienstag in Berlin auf einem Spitzentreffen noch vor der Sommerpause. Kaum Chancen haben die Pläne von Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof für eine radikale Steuervereinfachung. Sie sehen einen einheitlichen Steuersatz von 25 Prozent und das Ende aller Abschreibungen vor. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) lehnt die Vorschläge als nicht umsetzbar ab. Kirchhof selbst hält die Reform für finanzierbar. Angeheizt wird die Steuerdebatte durch Berichte, wonach Schäuble weniger Schulden macht.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte Anfang Juni bei einem Besuch der FDP-Fraktion angekündigt, dass die Partei- und Fraktionschefs rasch zusammenkommen wollten, um über strittige Themen zu beraten. Aus der FDP-Spitze verlautete am Dienstag: „Es bleibt bei den Vereinbarungen für ein Arbeitstreffen.“ Es gebe keinen Grund, von diesem Fahrplan abzuweichen. Ein Termin sei aber noch nicht festgelegt worden.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Peter Altmaier (CDU), hatte hingegen zuvor erklärt, dass es vor der Sommerpause keine definitiven Beschlüsse zu Steuersenkungen geben werde. Die Koalition werde sich vielmehr bis zum Herbst auf ein vernünftiges Gesamtkonzept einigen.
Auch die CSU will Steuersenkungen nicht überstürzt ausarbeiten. „Ich plädiere für eine saubere, gute Vorbereitung und nicht für einen Schnellschuss“, sagte die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt. Sie gehe davon aus, dass bis zum Herbst der haushaltspolitische Spielraum und eine eventuelle ergänzende Entlastung bei Sozialbeiträgen bestimmt werden könnten.
Im Gespräch ist bisher eine Steuerentlastung bis zu 10 Milliarden Euro, die bis zum Wahljahr 2013 greifen soll. Einigkeit besteht darin, das Problem der „Kalten Progression“ zu mildern. Das ist eine Art heimliche Steuererhöhung, weil Lohnzuwächse durch stark steigende Einkommensteuersätze größtenteils wieder aufgezehrt werden.
Dank des Konjunkturbooms und stark steigender Steuereinnahmen benötigt der Bund weniger neue Kredite. 2012 will Schäuble nach Angaben aus Koalitionskreisen die Neuverschuldung auf unter 30 Milliarden Euro drücken - stärker als noch im März geplant.
Bisher sind in den Etat-Eckpunkten für 2012 rund 31,5 Milliarden Euro veranschlagt. Auch 2011 will er sich weit weniger frisches Geld leihen. Die Nettokreditaufnahme soll unter 40 Milliarden Euro liegen. Schon im dritten Quartal 2011 muss der Bund die Kapitalmärkte weniger stark anzapfen. Die für Juli, August und September geplante Kreditaufnahme fällt um elf Milliarden Euro geringer aus.
Kirchhof, der schon im Wahlkampf 2005 als Kandidat der Union für das Amt des Bundesfinanzministers für sein Reformkonzept geworben hatte, schlägt bei der Einkommensteuer einen einheitlichen Steuersatz von 25 Prozent vor. Nur im unteren Einkommensbereich soll es Abschläge geben. Auch bei der Mehrwert- und Erbschaftsteuer plädiert er für einen Steuersatz. Steuerprivilegien sollen abgeschafft werden.
Schäuble sagte in der Unionsfraktion nach Angaben von Teilnehmern, die Debatte über das Kirchhof-Modell sollte niedriger gehängt werden. Er glaube nicht, dass Deutschland so weit sei, von allen Ausnahme-Tatbeständen Abschied zu nehmen. Er glaube auch nicht, dass ein einheitlicher Steuersatz von 25 Prozent von der Gesellschaft akzeptiert würde. Fraktionschef Volker Kauder (CDU) verwies darauf, dass dieselbe Debatte vor exakt sechs Jahren schon einmal geführt worden sei. Und die Union habe davon nicht profitiert.
Der Finanzexperte der Unionsfraktion, Klaus-Peter Flosbach (CDU), gab zu bedenken, „dass man ein über Jahrzehnte gewachsenes Steuersystem nicht so ohne weiteres gegen ein neues austauschen kann“. Auch an anderer Stelle in der Union hieß es, für diesen Systemwechsel sei auf absehbare Zeit kein Geld vorhanden.
Ökonomen äußerten Sympathie, rechnen aber ebenfalls mit keiner Änderung. Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU), die die schwarz-gelben Steuersenkungspläne kritisiert hatte, lobte Kirchhofs Konzept. Es führe „zu einer konsequenten und radikalen Vereinfachung“, sagte sie der „Mitteldeutschen Zeitung“.
FDP-Finanzexperte Volker Wissing sagte, Steuervereinfachung sei wichtig. Es sei aber „bemerkenswert, dass CDU-Ministerpräsidenten, die eine klare Absage an Steuervereinfachung gegenüber der FDP geäußert haben, jetzt plötzlich für Steuervereinfachungen im Sinne von Herrn Kirchhof eintreten.“
Der Steuerzahlerbund reagierte zurückhaltend. „So sehr es fasziniert, wie Kirchhof mit dem bisherigen Steuersystem aufräumt, so ungewiss ist es aber, ob dies politisch durchsetzbar ist“, sagte Verbandspräsident Karl Heinz Däke der „Leipziger Volkszeitung“ (Mittwoch). Bisher sei leider auch nicht zu ermitteln, welche Auswirkungen das Kirchhof-Konzept auf den Einzelnen hat.