Zweieinhalb Wochen nach der Bundestagswahl hat sich der alte Bundestag in einer intensiven Debatte mit den gewaltigen Schuldenplänen von Union und SPD beschäftigt und diese auf den parlamentarischen Weg gebracht. Eine Verabschiedung, die für kommenden Dienstag geplant ist, ist aber weiterhin offen. Die notwendige Zweidrittelmehrheit für die geplanten Grundgesetzänderungen steht weiterhin nicht. Außerdem könnte das Bundesverfassungsgericht das Vorhaben noch stoppen.
Merz geht auf Grüne zu
Union und SPD verteidigten die Pläne für eine massive Kreditaufnahme für Verteidigung und Infrastruktur und begründeten das mit einer angespannten Sicherheitslage. CDU-Chef Friedrich Merz bot den Grünen, auf deren Zustimmung CDU, CSU und SPD angewiesen sind, an, Gelder aus dem geplanten 500 Milliarden Euro großen Infrastruktur-Sondervermögen auch in Klimaschutz zu investieren und die Schuldenbremse nicht nur für Verteidigung zu lockern, sondern auch für Zivil- und Bevölkerungsschutz sowie Nachrichtendienste.
Die Grünen wiesen das Angebot umgehend zurück und beschwerten sich heftig über die Verhandlungsführung von Union und SPD. Redner von AfD, Linke und BSW lehnten die Pläne zur Änderung des Grundgesetzes grundsätzlich ab und sprachen von „Aufrüstung“ und „Kriegskrediten“.
„Was wollen Sie noch mehr?“
Merz sagte, das Vorhaben dulde keinen Aufschub mehr. „Wir müssen jetzt etwas tun, um unsere Verteidigungsfähigkeit deutlich zu erhöhen.“ Er verwies auf den Krieg in der Ukraine, die Entwicklungen in den USA, Angriffe auf die deutsche Infrastruktur oder Drohnenüberflüge über Bundeswehrkasernen. Es finde ein hybrider Krieg statt, der in den vergangenen Wochen massiv eskaliert sei.
An die Adresse der Grünen gerichtet sagte er mit Blick auf sein zuvor unterbreitetes Angebot, damit könne Deutschland nicht nur bei der Verteidigung, sondern auch bei der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und beim Klimaschutz einen großen Sprung nach vorn machen. „Was wollen Sie noch mehr?“
Angebote auf der Mailbox
Die Zustimmung ihrer Fraktion stehe in Frage, bekräftigte Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann. „Das ist mit dem heutigen Tage nicht besser geworden“, sagte sie und äußerte Zweifel „am Verhandlungsgeschick mancher Kollegen“. Seit Tagen gebe es Gespräche. „Aber Angebote an unzureichende Gesetzentwürfe macht man weder über die Mailbox noch im Plenum, wenn man will, dass sie Erfolg haben.“
Zum Beginn der Sitzung scheiterte die AfD mit einem Antrag, die Debatte noch abzusetzen. Die AfD klagt neben der Linken und BSW-Vertretern auch vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, um die Verabschiedung des Schuldenpakets noch zu stoppen.
Aus ihrer Sicht hat der alte Bundestag, der nun noch einmal zusammengetrommelt wurde, nicht mehr die Legitimität, solche weitreichenden Entscheidungen zu treffen. AfD-Chefin Alice Weidel warf Merz den Bruch von Wahlversprechen vor. „Sie werden in die Geschichte eingehen als der Totengräber der Schuldenbremse, die Sie im Wahlkampf noch so vehement wie verlogen verteidigt haben.“
„Was haben sie mit Friedrich Merz gemacht?“
Auch der frühere Finanzminister Christian Lindner trat noch einmal ans Rednerpult. Der FDP-Politiker hielt dem wahrscheinlichen künftigen Kanzler vor, seine Überzeugungen für das Amt zu opfern. Merz habe plötzlich eine ganz andere wirtschaftspolitische Haltung als noch vor der Bundestagswahl. „Sie hier vorne in der ersten Reihe: Wer sind Sie? Und was haben Sie mit Friedrich Merz gemacht?“, fragte Lindner.
Der Linken-Politiker Christian Görke kritisierte eine seiner Ansicht nach „wahnsinnige Flatrate für das größte Aufrüstungsprogramm“, das die Bundesrepublik je erlebt habe. BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht sprach einem „grenzenlosen schuldenfinanzierten Aufrüstungsrausch“ und sprach von „unbegrenzte(n) Kriegskredite(n) für einen neuen deutschen Militarismus“.
Unbegrenzte Schulden-Möglichkeiten für Verteidigung
Das geplante Multimilliarden-Finanzpaket soll die Grundlage für eine neue schwarz-rote Koalition bilden. Konkret haben sich CDU, CSU und SPD vorgenommen, Verteidigungsausgaben ab einer bestimmten Summe von der Schuldenbremse auszunehmen. Alles, was über einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt, also über etwa 44 Milliarden Euro, soll aus Krediten finanziert werden dürfen. Nach oben soll es keine Grenze geben.
Die Länder sollen außerdem mehr Spielraum für eigene Verschuldung bekommen. Drittes Vorhaben ist ein sogenanntes Sondervermögen für Investitionen in die Infrastruktur, das mit Krediten von bis zu 500 Milliarden Euro gefüttert wird.
Ohne die Zustimmung von Grünen oder FDP kann das Paket im Bundestag aber nicht beschlossen werden - denn allein haben Union und SPD nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit für eine Änderung des Grundgesetzes. Doch keine der beiden Fraktionen ist bisher zur Zustimmung bereit.
Stolpersteine Bundesrat und Bundesverfassungsgericht
Scheitern könnte das Vorhaben zudem noch am Bundesrat, der ebenfalls mit zwei Dritteln der Stimmen Ja sagen muss. Die sind aktuell auch noch nicht sicher.
Außerdem stehen noch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu den Klagen von Linken, AfD und BSW aus. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Gericht die für Dienstag geplante abschließende Sitzung des Bundestags noch kurzfristig untersagt und somit kein Beschluss gefasst werden kann.
Koalitionsverhandlungen beginnen am Abend
Ungeachtet all dieser Unsicherheiten arbeiten Union und SPD weiter auf eine gemeinsame Bundesregierung hin. Den Auftakt macht eine größere Runde heute Abend in der CDU-Zentrale. Dann beginnt die Arbeit in 16 thematischen Arbeitsgruppen. Als Grundlage hatten sich Union und SPD in Sondierungen auf zentrale Punkte verständigt, es sind aber noch zahlreiche Fragen zu klären.
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