Leute verprügelt, Dönerbuden demoliert: Carsten S. sagt aus
München (dpa) - Die hartnäckige Suche nach Motiven hat den sechsten Tag des NSU-Prozesses bestimmt: Weitgehend vergeblich versuchte das Gericht zu ergründen, warum der Angeklagte Carsten S. den untergetauchten Neonazis Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe eine Waffe besorgte.
Dabei handelt es sich höchstwahrscheinlich um jene „Ceska“-Pistole, mit der die Terroristen neun Menschen ermordeten. Carsten S. ist deshalb der Beihilfe zum neunfachen Mord angeklagt.
„Was haben Sie sich denn vorgestellt, für was die Waffe gebraucht wird?“, fragte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl. Carsten S. antwortete: „Ich wurde das schon oft gefragt, ich suche das auch selber und kriege es aber nicht mehr zusammen.“
Nach dem Untertauchen der drei war Carsten S. die Verbindungsperson zu dem gleichfalls angeklagten Ralf Wohlleben, der laut Anklage eine zentrale Rolle bei der Unterstützung der Terrorzelle gespielt haben soll. Carsten S. hielt den Kontakt über ein eigens angeschafftes Handy und erledigte - wie er selbst sagte - Aufträge, immer in Abstimmung mit Wohlleben: Er brach in eine frühere Wohnung Zschäpes ein, um dort Akten und Ausweise zu holen, und stahl gemeinsam mit Wohlleben ein Motorrad. Warum er all das tat, ohne weiter nachzufragen, konnte Carsten S. vor dem Oberlandesgericht München nicht erklären.
Der Hauptangeklagten Zschäpe wird Mittäterschaft bei sämtlichen Verbrechen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) zur Last gelegt. Böhnhardt und Mundlos hatten sich selbst getötet, um einer Festnahme zu entgehen. Auf der Anklagebank sitzen auch der Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben und die mutmaßlichen Unterstützer Holger G. und André E..
Am Vormittag hatte Carsten S., der zuletzt als Sozialpädagoge bei der Aidshilfe in Düsseldorf arbeitete, über seine braune Vergangenheit berichtet und auch eigene Gewalttaten eingeräumt. Seine Neonazi-Clique habe zwei Männer zusammengeschlagen. Er erinnere sich, „dass ich auch einmal zugetreten habe oder zweimal - ich weiß es nicht mehr“, sagte er mit den Tränen ringend. Hinterher habe er in der Zeitung gelesen, dass die Opfer schwer verletzt gewesen seien. Der Vertreter der Bundesanwaltschaft kündigte nach der Verhandlung an, dass dieses Delikt zu Ermittlungen an die zuständige Staatsanwaltschaft weitergeleitet werde.
Vor dem Untertauchen von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe 1998 habe kaum Kontakt mit den dreien gehabt. „Das waren halt drei von den Älteren.“ Erst später habe Wohlleben ihn zum Verbindungsmann gemacht. Wohlleben habe ihn vermutlich ausgewählt, „weil er Vertrauen zu mir hatte“. Laut Carsten S., der einer der wichtigsten Zeugen der Bundesanwaltschaft ist, war es auch Wohlleben, der letztlich die Entscheidungen traf. Der frühere NPD-Funktionär sei an der Beschaffung der Waffe maßgeblich beteiligt gewesen und habe das Geld dafür gegeben. Wohlleben ist ebenfalls wegen Beihilfe zu neun Morden angeklagt.
Carsten S. berichtete auch, seine rechte Jugendclique habe an mindestens zwei Dönerbuden Scheiben eingeschlagen und eine andere Bude umgeworfen. „Was war denn das Motiv?“, wollte der Vorsitzende Manfred Götzl wissen. „Ich weiß nur, dass einer die Idee hatte - und da sind wir losgegangen.“ Später ergänzte er: „Wir haben uns einen Spaß draus gemacht - und natürlich denen eins ausgewischt.“ Es sei auch gegen die multikulturelle Gesellschaft gegangen, und gegen das Finanzkapital. Entscheidend sei für ihn gewesen, dass es ihm bei den Rechten besser ging. „Da hatte ich Respekt, da ging's mir gut. Ich habe mich stark gefühlt.“
Die Vernehmung von S. wurde auf Antrag seiner Verteidigung am Mittwochnachmittag unterbrochen - voraussichtlich, bis der für ihn zuständige psychiatrische Gutachter wieder am Prozess teilnimmt. Am Donnerstag wird das Gericht deshalb wahrscheinlich mit der Vernehmung von Holger G. beginnen. Er ist neben Carsten S. der einzige, der aussagen will. G.s Anwalt Stefan Hachmeister würdigte in einer Verhandlungspause die Aussage von Carsten S. „Das ist schon mutig von ihm, sich der Situation so zu stellen.“
Warum gibt jemand eine Pistole mit Schalldämpfer und Munition weiter? Carsten S. hat zwar zugegeben, dass er eine Waffe für Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe besorgte. Doch seine Antworten, was ihn damals vor etwa 13 Jahren trieb, bleiben vage.
„Hatten Sie keine Bedenken, diese Waffe mit Schalldämpfer und Munition an Herrn Mundlos und Herrn Böhnhardt zu übergeben?“, fragt der Vorsitzende Richter Manfred Götzl.
Carsten S. nach langer Denkpause: „Anscheinend nicht.“
Götzl: „Was haben Sie sich denn vorgestellt, für was die Waffe gebraucht wird?“
„Ich wurde das schon oft gefragt, ich suche das auch selber und kriege es aber nicht mehr zusammen.“ Er erinnere sich, dass es möglicherweise um Geldbeschaffung ging, sagt Carsten S. weiter. „Ich weiß, dass wir damals Kenntnis hatten von Geldnöten, und von einer Auslandsreise. Da ordne ich das ein.“ Es sei darum gegangen, dass sich Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe ins Ausland nach Südafrika oder Namibia absetzen wollten.
„Hatten Sie keine Skrupel, keine Bedenken, keine Befürchtungen?“
„Ich weiß es nicht. Ich möchte nicht irgendwas erklären und plausibel machen, was es rund macht, obwohl ich das nicht weiß von früher.“
„Das ist ja keine Spielzeugpistole, das ist eine gefährliche Waffe mit Schalldämpfer. Warum haben sie das gemacht?“
„Weil es keine Alternative gab.“ Die Waffe sei mit Schalldämpfer angeboten worden, und es sei entschieden worden, sie mit Schalldämpfer zu nehmen.
Immer wieder fragt Götzl nach. „Welche Vorstellungen hatten Sie denn? Wovon gehen Sie aus, wofür die Waffe sein kann?“ Carsten S. schaut nun hilfesuchend seinen Verteidiger an, der sich ihm zuwendet. „Mir fällt nichts ein.“
In früheren Vernehmungen habe er von Bauchschmerzen gesprochen, hält ihm Götzl vor. „Mit dem Thema werden Sie sich auseinandersetzen müssen.“