Parteitag in Hannover Linke will radikalen Politikwechsel
Hannover (dpa) - Mit der Forderung nach radikaler Umverteilung und einer Kehrtwende in der Außenpolitik zieht die Linke in den Bundestagswahlkampf.
Der Parteitag in Hannover beschloss am Sonntag ein Wahlprogramm, das eine Millionärssteuer von 75 Prozent vorsieht, eine Grundsicherung von 1050 Euro anstelle von Hartz IV, die Abschaffung der Nato und ein Ende aller Bundeswehreinsätze. „Wir wollen die Grundrichtung der Politik in diesem Land verändern“, sagte Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht, die ihre Partei zusammen mit Dietmar Bartsch in den Wahlkampf führt.
Von SPD und Grünen grenzte die Linke sich auf dem dreitägigen Parteitag bewusst ab, schlug die Tür für eine rot-rot-grüne Koalition aber nicht zu. Erklärtes Wahlziel für den 24. September sind mindestens zehn Prozent der Stimmen - nach 8,6 Prozent 2013. „Es geht darum, so stark zu werden, dass wir die anderen vor uns hertreiben können“, sagte Wagenknecht vor rund 500 Delegierten.
Das 100-seitige Wahlprogramm hat den Titel „Sozial. Gerecht. Frieden. Für alle“. Das Wort „Frieden“ wurde auf dem Parteitag noch nachträglich eingefügt. Die meisten der 300 anderen Änderungsanträge scheiterten dagegen. Heftigen Streit gab es um die Frage, ob die Staatsverträge mit den Kirchen aufgekündigt werden sollen. Die Delegierten stimmten am Samstag zunächst mit knapper Mehrheit dafür. Nach heftigen Protesten wurde der Beschluss am Sonntag aber wieder rückgängig gemacht.
Kern des Programms ist ein radikaler Umbau der Sozial- und Steuersysteme. Dazu zählt eine Mindestrente von 1050 Euro und die Anhebung des Mindestlohns von 8,84 auf 12 Euro. Trotz Terrorgefahr will die Linke alle Geheimdienste abschaffen. Im außenpolitischen Teil zeigt sich die Partei russlandfreundlich und kritisiert die EU-Sanktionspolitik sowie die Nato-Truppenstationierung im östlichen Bündnisgebiet. Einen Antrag auf Verurteilung der Krim-Annexion durch Russland ließen die Delegierten durchfallen.
Bundeswehreinsätze lehnt die Linke zwar grundsätzlich ab. Für eine Regierungsbeteiligung wäre sie aber bereit, diese Ablehnung auf Kampfeinsätze zu beschränken. Parteichef Bernd Riexinger nannte zudem eine Vermögensteuer als Bedingung für eine rot-rot-grüne Koalition.
Wagenknecht und Bartsch warben allerdings dafür, die Debatte über eine mögliche Regierungsbeteiligung einzustellen. „Natürlich sind wir auch bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen, aber nur mit unserer Programmatik gehen wir in den Wahlkampf“, sagte Bartsch. Eine Koalition mit SPD und Grünen ist die einzige realistische Regierungsoption für die Linke. Nach allen aktuellen Umfragen hat Rot-Rot-Grün aber keine Mehrheit.
Wagenknecht rief ihre Partei zu einem selbstbewussten Wahlkampf auf. Der SPD warf sie vor, an Niedriglöhnen, Rentenkürzungen und Hartz IV nichts ändern zu wollen. Im Vergleich zum aktuellen Entwurf für das SPD-Wahlprogramm sei das der vergangenen Wahl „ein geradezu revolutionäres Dokument“.
Die Linken-Fraktionschefin griff auch SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz persönlich an. Zum Absturz des Parteichefs der Sozialdemokraten in den Umfragen sagte sie: „Es ist einfach die Folge, dass kein normaler Mensch Schulz mehr abnimmt, dass er für einen politischen Wechsel steht. Denn Politikwechsel, das heißt doch nicht Raute oder Zottelbart im Kanzleramt.“
Grünen-Chef Cem Özdemir sieht die Chancen für Rot-Rot-Grün nach dem Parteitag dahinschmelzen. „Außenpolitisch bleibt die Linke
unzuverlässig. Das ist sehr bedauerlich, weil die Linkspartei
so die Chance auf Rot-Rot-Grün mutwillig erschwert“, sagte er der „Welt“ (Montag).