Märchendebatte im Bundestag
Dürfen in Kinderbuch-Klassikern diskriminierende Begriffe wie „Negerlein“ stehen? Politiker diskutieren über Änderungen.
Berlin. Dürfen die „Zehn kleinen Negerlein“ noch „Negerlein“ heißen? Darf die Hexe bei „Hänsel und Gretel“ kreischend im Ofen verbrennen — sind die 200 Jahre alten Märchen der Gebrüder Grimm generell viel zu gewalttätig? Oder müssen Kinder und Eltern die veraltete, heute oft politisch nicht mehr korrekte Wortwahl und Handlung klassischer Jugendliteratur aushalten? Das Thema hat jetzt auch den Bundestag erreicht, nachdem kürzlich auch Familienministerin Kristina Schröder (CDU) bekannte, sie würde heikle Kinderbuchpassagen schon beim Vorlesen entschärfen.
Die FDP fordert, dass sich der Kulturausschuss des Parlaments mit dem Thema beschäftigt. Einzelne Verlage wollen strittige Wörter in Kinderbüchern glätten, oder sie haben es bereits getan.
Das trifft im Bundestag auf viel Unverständnis. Auch wenn in einigen klassischen Geschichten und Märchen Gewalt verherrlicht, Minderheiten diskriminiert und Vorurteile aufgebaut würden, so der kulturpolitische Sprecher der Union, Jens Börnsen (CDU), „ist es trotzdem nicht angebracht, Nachbesserungen vorzunehmen, damit sie unserem Zeitgeist entsprechen“.
Außerdem, so Börnsen, seien Gewalt verherrlichende Computerspiele und Filme viel schädlicher. Es gebe Erhebungen, wonach Kinder am Tag 60 Morde im Fernsehen erleben könnten, wenn sie von morgens bis abends TV gucken würden.
Trotzdem sind viele Märchen starker Tobak für junge Gemüter, es wird gefoltert, gemordet, vergiftet, in Wäldern ausgesetzt. FDP-Experte Burkhardt Müller-Sönksen wünscht sich daher, dass Eltern „pädagogisch motivierte Gespräche“ führen, „anstatt politisch korrekte und historisch zensierte Kinderbücher auszuwählen“. Das Thema sei zwar keines für den Gesetzgeber, gleichwohl befürworte er eine Debatte darüber im zuständigen Kulturausschuss des Bundestages.
Die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD), die jetzt Mitglied des Gremiums ist, sagt: „Die Texte sind authentisch, so wie sie in der damaligen Zeit waren. Wir fangen ja auch nicht an, Goethe oder Schiller umzuschreiben.“ Außerdem könne man problematische Begriffe beim Vorlesen erklären.
Einheitlich ist die Meinung unter den Kulturpolitikern des Bundestages jedoch nicht. So betont die Grüne Agnes Krumwiede, sie sei dafür, dass Kinderbücher „neu übersetzt oder sprachlich überarbeitet werden“. Durch eine neuere Sprache bekämen Kinder auch einen besseren Zugang zu den Geschichten über „Tom Sawyer“, „Pippi Langstrumpf“ oder „Die kleine Hexe“.