Interview Merkel: "Armin Laschet steht für wirtschaftliche Kompetenz"
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) über ihren Parteikollegen, die NRW-Wahl und ihre Vorfreude auf die "intensive gemeinsame Arbeit" mit CSU-Chef Seehofer am Regierungsprogramm.
Berlin. Seit 2005 ist Angela Merkel (62) Bundeskanzlerin. Bei den Wahlen am 14. September will sie zum vierten Mal eine Bundestagswahl gewinnen. Ihr Blick geht aber auch nach NRW und zu ihrem CDU-Kollegen Armin Laschet.
Herr Laschet ist Ihr stellvertretender Parteivorsitzender, beschreiben Sie doch einmal, wofür er steht und warum er in Ihren Augen der bessere Ministerpräsident für NRW wäre.
Merkel: Ich schätze Armin Laschet seit vielen Jahren. Als Partei- und Fraktionsvorsitzender der CDU in NRW kennt er die Lage im Land und auch die Probleme sehr gut. Er steht für wirtschaftliche Kompetenz, die in NRW bei Rot-Grün deutlich zu kurz kommt, genauso aber auch für eine fortschrittliche Integrationspolitik, für eine offene und sichere Gesellschaft. Und Armin Laschet ist ein überzeugter Europäer.
Armin Laschet unterstützt Ihre Flüchtlingspolitik, holt sich aber mit Wolfgang Bosbach einen vehementen Kritiker dieser Politik als Sicherheitsberater …
Merkel: Wolfgang Bosbach berät ihn in Fragen der Sicherheits-strukturen in NRW. Er ist unbestritten ein exzellenter Experte in Fragen der inneren Sicherheit. Die Landesregierung von Hannelore Kraft hat auf diesem Gebiet viele Bürger sehr enttäuscht.
Frau von der Leyen spricht im Wahlkampf über NRW vom "kranken Mann Deutschlands". Würden Sie diese Formulierung über-nehmen?
Merkel: Nordrhein-Westfalen hatte jahrelang ein unterdurch-schnittliches Wirtschaftswachstum. Das ist nicht Schicksal, sondern hätte durch bessere Politik vermieden werden können. Die Bürger klagen über zu viel Bürokratie, die Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur läuft viel zu langsam, es gibt zu wenige baureife Planungen. Die Weichen für die Zukunft sind nicht richtig gestellt und dann macht Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr auch noch mehr neue Schulden als alle anderen Bundesländer zusammen. Dieses schöne und leis-tungsfähige Bundesland könnte also deutlich besser regiert werden.
Eine Machtoption der NRW-CDU war die schwarze Ampel, eine Koalition aus CDU, FDP und Grünen. Letztere verweigern sich nun; wie sehr ärgert Sie das?
Merkel: Ich führe keine Koalitionswahlkämpfe, sondern kämpfe immer für ein möglichst gutes Abschneiden meiner CDU — das tue ich auch in NRW gemeinsam mit Armin Laschet. Wie eine stabile Regierung gebildet werden kann, zeigt sich erst nach der Wahl. Bis dahin ist es als Opposition in NRW und Schleswig-Holstein unsere Aufgabe, die Fehler von Rot-Grün zu zeigen und für unsere Zukunftskonzepte zu werben.
Die Deutschen schultern im Vergleich zu allen anderen Industrienationen eine sehr hohe Steuer- und Abgabenlast. Mit welchem Steuerkonzept gehen Sie in die Bundestagswahl?
Merkel: Unser Sozialsystem bietet ein hohes Maß an Sicherheit. Das kommt allen zugute und darauf können wir stolz sein. Soziale Marktwirtschaft bedeutet auch, Steuern so einzusetzen, dass sozialer Zusammenhalt gewährleistet ist. Aber wir stellen beispielsweise fest, dass schon Facharbeiter, wenn sie nur ein paar Überstunden machen, den Spitzensteuersatz erreichen. Das wollen wir ändern und Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen im Umfang von circa 15 Mrd. Euro entlasten. Wir werden das natürlich weiter im Rahmen unserer soliden Finanzpolitik tun, das heißt, auch in den kommenden Jahren wollen wir keine neuen Schulden aufnehmen — ein ganz wichtiges Versprechen für die jüngeren Generationen.
Gibt es auch Spielräume zur Entlastung der Unternehmen?
Merkel: Wir konzentrieren uns auf die Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen.
Der Kanzlerkandidat der SPD setzt ganz überwiegend auf das Thema soziale Gerechtigkeit. Ist das in Ihren Augen eigentlich ge-rechtfertigt?
Merkel: Es geht immer um die richtige Balance: Wir brauchen die bestmöglichen Bedingungen für wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einerseits und ausreichende Ausgaben für unsere Sozialsysteme andererseits. Deshalb machen wir zum Beispiel im Unterschied zu rot-grünen Überlegungen keine Erbschaftsteuerreform, die die gesamte Kultur der Familienbetriebe zerstören würde, nur um kurzfristig höhere Einnahmen zu erzielen, sondern unterstützen lieber mit guten Rahmenbedingungen die Firmen, die Arbeitsplätze schaffen. Das schafft dann wieder neue Spielräume in der Sozialpolitik.
Ein Baustein der Abgabenlast ist der Solidaritätszuschlag. Was planen Sie?
Merkel: Im nächsten Jahrzehnt muss der Soli schrittweise zu-rückgeführt werden. 30 Jahre nach der Deutschen Einheit ist die Zeit dafür gekom-men.
Zur sozialen Sicherheit gehört auch der Bereich der Rente. Wird es in der neuen Legislaturperiode dazu ein neues Gesetzespaket geben?
Merkel: Zunächst einmal: Wir haben gerade deutliche Verbesserungen bei den Erwerbsunfähigkeitsrenten beschlossen. Hier gab es Nachteile bei der Rentenberechnung, die es zu überwinden gilt. Wir wollen die so genannte Riesterrente effizienter und renditestärker gestalten. Für die Betriebsrenten haben die Arbeitsministerin und der Finanzminister ein gutes Modell vorgelegt. Durch die gute Arbeitsmarktlage haben wir beim Rentenniveau nicht die Entwicklung, die wir einmal befürchtet haben. Für mich ist es daher das wichtigste, dass wir alles tun, damit weiterhin immer mehr Menschen Arbeit finden.
Im Bundestagswahlkampf werden die Menschen gewiss auch auf das geschwisterliche Miteinander von CDU und CSU blicken — Horst Seehofer hat erklärt, weiter zu machen. Wie sehen Sie das?
Merkel: Wir haben politisch sehr viel mehr gemeinsame Ziele als Trennendes. Nun kämpfen wir zusammen dafür, dass nach der Bundestagswahl gegen die Union keine Bundesregierung gebildet werden kann. Ich freue mich auch auf die intensive gemeinsame Arbeit mit Horst Seehofer am Regierungsprogramm, bei dem die CSU gewiss eigene Akzente setzen wird.
Horst Seehofer hat im Zusammenhang mit dem aktuellen Bundeswehr-Skandal und dem Doppelleben eines Offiziers als angeblich syrischer Flüchtling erneut vom Kontrollverlust gesprochen, den die Regierung zugelassen hätte. Gehen Sie von einem ständigen Nachkarten Seehofers aus?
Merkel: Nach allem, was wir bislang wissen, sind bei dem Auf-nahmeverfahren und in der Anhörung des Bundeswehroffiziers als angeblicher Flüchtling und Asylbewerber gravierende Fehler gemacht worden. Das alles muss jetzt umfassend aufgeklärt werden. Die Abnahme von Fingerabdrücken hat sich bewährt, denn sie hat letztlich auch zur Aufdeckung dieses Falls geführt. Aber wir müssen auch für die Rekonstruktion von Fluchtwegen dringend Handydaten auswerten können. Dazu ist ein neues Gesetz auf dem Weg.
Den Begriff Kontrollverlust teilen Sie nicht?
Merkel: Nein. Wären in der Befragung des vermeintlichen Flüchtlings keine Fehler gemacht worden, wäre die falsche Identität sofort aufgefallen.
Wie bewerten Sie denn die rechtsextremistischen Umtriebe in der Bundeswehr und den Brandbrief der Verteidigungsministerin?
Merkel: Die Bundesverteidigungsministerin setzt alles daran, die Dinge aufzuklären, denn die Vorfälle in den letzten Monaten können nicht ein-fach als Einzelfälle abgetan werden. Es ist absolut richtig, dass die Ministerin genau ermitteln lassen will, was falsch gelaufen ist. Und sie hat zu Recht auch deutlich gesagt, dass die ganz überwiegende Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten engagiert und ausgezeichnet arbeitet.
Sie waren in Sotschi beim russischen Präsidenten — wie würden Sie das Verhältnis zu ihm beschreiben?
Merkel: Wir hatten in Sotschi ein sehr intensives Gespräch, gerade auch zum Konflikt in der Ostukraine. Indem wir in all den Monaten seit Beginn der Krise um die Ukraine immer wieder miteinander gesprochen und verhandelt haben, haben wir eine noch schlimmere Eskalation der Kämpfe in der Ostukraine verhindert. Nur so und mit viel Geduld und Beharrlichkeit können wir auf dem Weg zu einer friedlichen, politischen Lösung entsprechend der Minsker Vereinbarungen vorankommen. Ich werde weiter alles dafür tun und mit Präsident Putin im Gespräch bleiben.
Gilt das auch für den türkischen Präsidenten Erdogan?
Merkel: Ja. Ich werde auch mit ihm wieder das Gespräch suchen.
Trotz seiner wüsten Beschimpfungen?
Merkel: Wie ich dazu stehe, habe ich ja deutlich gemacht. Zu-gleich hat Deutschland ein hohes außen- und sicherheitspolitisches Interesse an guten Beziehungen zur Türkei, die unser Partner im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus ist. Außerdem leben in Deutschland rund drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln; auch das gibt uns die Verantwortung, für gute Beziehungen zur Türkei einzutreten. Natürlich sehen wir wie die meisten in der EU die Verfassungsänderungen, die Präsident Erdogan jetzt durchsetzt, und die gesamte innenpolitische Entwicklung sehr kritisch.
Es gibt den Vorwurf, dass sich die Bundesregierung nicht genügend um die unsicheren Atomkraftwerke in Belgien, konkret in Tihange, kümmere.
Merkel: Wir sprechen mit Belgien über die Sicherheitsfragen. Aber wir haben uns zum Beispiel im Hinblick auf die Brennstofflieferungen auch an Recht und Gesetz in Deutschland zu halten. Das Beispiel des französischen Kern-kraftwerks Fessenheim, das nun in absehbarer Zeit stillgelegt werden soll, zeigt, dass manchmal sehr viele Gespräche notwendig sind, es sich aber lohnt, diese zu führen.
Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz wäre liebend gern ein drittes Mal Präsident des Europaparlaments in Brüssel geworden — dann wäre er jetzt nicht ihr Herausforderer. Haben Sie da einen strategischen Fehler gemacht?
Merkel: Ich habe seit 2005 jeden von der SPD nominierten Kanzlerkandidaten respektiert und immer faire Wahlkämpfe geführt. So halte ich es auch dieses Mal.