Merkel: Kämpfe um meinen Flüchtlingskurs
Berlin/Saarbrücken (dpa) - Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will trotz des wachsenden Drucks in der Flüchtlingskrise entschlossen für ihren Willkommenskurs kämpfen.
„Ich bin dafür, dass wir ein freundliches Gesicht von Deutschland zeigen. Das ist meine Art von Willkommenskultur“, sagte sie am Freitag in der ZDF-Sendung „Was nun, Frau Merkel?“. Sie kämpfe für ihren Plan, „an den Fluchtursachen anzusetzen, aus Illegalität Legalität zu machen“. Sie ergänzte: „Ich bin nicht die erste Bundeskanzlerin, die um etwas kämpfen musste.“
Die Mittelstandsvereinigung der Union (MIT) hatte zuvor verlangt, Flüchtlinge notfalls an der Grenze zurückzuweisen. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) und Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) untermauerten ihre Forderungen nach Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen. Auch Innenminister Thomas de Maizière und Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) haben sich jüngst kritischer als die Kanzlerin zur Lage geäußert.
Merkel wies den Eindruck zurück, sie habe die Zügel aus der Hand gegeben und die Richtlinienkompetenz verloren. „Gerade nicht“, sagte sie dazu. „Die Bundeskanzlerin hat die Lage im Griff, auch die ganze Bundesregierung.“ Zugleich distanzierte sie sich von Schäubles Lawinen-Vergleich: Sie denke nicht in solchen Bildern. Für sie gehe es um die Würde jedes Einzelnen und nicht um eine anonyme Masse. Zugleich sagte sie aber über den dienstältesten Minister: „Schäuble ist eine Klasse für sich.“
Nach wie vor ist Merkel nicht bereit, für die Zahl der Flüchtlinge, die Deutschland aufnehmen kann, eine Obergrenze zu nennen. „Was wir in Deutschland nicht können, ist, einseitig fest(zu)legen: wer kommt noch, wer kommt nicht.“ Auf die Frage, ob sie beim CDU-Parteitag in Karlsruhe Anfang Dezember eine Art Vertrauensfrage zu ihrer Politik stellen werde, betonte die CDU-Vorsitzende: „Es geht nicht um eine Vertrauensfrage.“ Auch die Frage, ob sie bereit sei, für ihren Kurs ihr Amt infrage zu stellen, verneinte Merkel. „Ich stehe den Bürgern für diese Legislaturperiode zur Verfügung.“
Söder sagte dem „Münchner Merkur“: „Deutschland kann im Jahr maximal 200 000 bis 300 000 Neubürger sinnvoll integrieren.“ Wenn es darüber hinaus gehe, werde auf Dauer Integration kaum gelingen. Die Regierung erwartet in diesem Jahr offiziell 800 000 Flüchtlinge. Haseloff sagte der „Bild“-Zeitung: „Auf jeden Fall müssen wir sehr bald erklären, was wir leisten können und wo unsere Grenzen sind, und dann natürlich Obergrenzen festlegen, auch für Gesamtdeutschland.“
Die Mittelstandsvereinigung von CDU und CSU verlangt Konsequenzen, wenn nicht bald die Sicherung der EU-Außengrenzen und eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge in der EU erreicht würden. Dann müssten vorübergehend alle Einwanderer vor der Einreise nach Deutschland kontrolliert werden, wie es in einem Antrag des MIT-Vorstandes heißt, der an diesem Samstag in Dresden verabschiedet werden soll.
Auch die von CDU und CSU geführten Kommunen mahnen rasches Handeln der Bundesregierung an. Wichtig sei, dass schnell Aufnahmezentren für Asylbewerber aus „sicheren Herkunftsländern“ ihre Arbeit begännen, sagte der Bundesvorsitzende der Kommunalpolitischen Vereinigung von CDU und CSU (KPV), Ingbert Liebing, der Deutschen Presse-Agentur.
Innenminister de Maizière rief alle in der Union dazu auf, gemeinsam für die Sache zu streiten. Bei einem KPV-Kongress in Saarbrücken zeigte er sich besorgt über eine Radikalisierung und Verrohung der Sitten. Es gebe einen Umgang miteinander, „den ich mir vor einem halben Jahr oder Jahr nicht hätte vorstellen können“.
Schäuble hielt sich mit neuer Kritik zurück und forderte wie Merkel eine Stärkung der EU-Außengrenzen. „Wenn Europa ohne Grenzen weiter funktionieren soll, muss natürlich Europa seine Außengrenzen unter Kontrolle bringen“, sagte er in Dresden. Die Flüchtlingsbewegung sei Folge der Globalisierung, von der das Land wirtschaftlich profitiere.
De Maizière erhält wachsende Zustimmung für seine Politik. Nach dem jüngsten ZDF-„Politbarometer“ finden inzwischen 45 Prozent der Befragten seine Arbeit eher gut (September: 34 Prozent). Merkels Arbeit in der Krise wird von einer Mehrheit (52 Prozent) weiterhin als eher schlecht bewertet; gute Noten bekommt sie von 43 Prozent.