Berlin Merkels Machtwort in der Öffnungsdebatte

Berlin · Die Kanzlerin bangt um die Erfolge im Kampf gegen Corona – und findet deutliche Worte. Die Botschaft vorsichtiger Lockerungen habe in einigen Bundesländern zu „Öffnungsdiskussionsorgien“ geführt, soll sie geschimpft haben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich kritisch zu den Diskussionen um weitere Lockerungen der derzeitigen Beschränkungen geäußert. Dafür wiederum erntete sie Kritik aus der Opposition.

Foto: dpa/Markus Schreiber

Es gibt keine Sätze, die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einfach mal so sagt. Auch nicht hinter verschlossenen Türen. Denn sie weiß, alles dringt nach außen. Wie diesmal auch: Bei der Schaltkonferenz des CDU-Präsidiums am Montagmorgen ließ die Kanzlerin dem Vernehmen nach ihrem Corona-Ärger freien Lauf.

Die Botschaft vorsichtiger Lockerungen habe in einigen Bundesländern zu „Öffnungsdiskussionsorgien“ geführt, soll sie geschimpft haben. Dies erhöhe das Risiko eines Rückfalls sehr stark. Merkel ist besorgt, verärgert, genervt. Und wenn sie diesen persönlichen Aggregatzustand erreicht hat, dann schießt sie schon mal scharf. Freilich in Merkel-Manier. Dazu passt dann auch der eher kompliziert gewählte Begriff der „Öffnungsdiskussionsorgie“.

Die Bundeskanzlerin habe in den vergangenen Tagen immer wieder darüber gesprochen, „wie wichtig ein vorsichtiges und umsichtiges Vorgehen jetzt ist“, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert. Wirklich gehört gefühlt hat sie sich offenbar nicht, deswegen der Rüffel. Die Sorge Merkels ist klar: Über fast vier Wochen hat der Gemeinsinn gut gehalten, nun bröckelt er gewaltig. Noch in der vergangenen Woche hatten sich Bund und Länder zwar darauf verständigt, die Einschränkungen speziell im Einzelhandel etwas zu reduzieren. Inzwischen ist jedoch der Eindruck entstanden, dass jeder macht, was er will. Es droht noch mehr Durcheinander. Das wiederum könnte die Geduld und die Disziplin der Bürger unterlaufen. Politisch wird die Kritik am Vorgehen der Regierung ohnehin immer lauter.

Im CDU-Präsidium verwies Merkel demnach auf die am 30. April geplanten nächsten Verhandlungen von Bund und Ländern über das weitere Vorgehen. Wichtiger sei allerdings, wie es dann eine Woche später aussehe. Erst am 8. oder 9. Mai werde man einen Überblick darüber haben, ob die Wirtschaft vorankomme und wie es in den Schulen aussehe. Das sind also noch lange drei Wochen, in denen den Menschen einiges abverlangt wird.

Am Nachmittag legte Merkel öffentlich nach: Seit dem vergangenen Mittwoch sei eine Diskussion in Gang gekommen, die eine Sicherheit vermittele, „wie sie heute überhaupt noch nicht da ist“.  Erst in 14 Tagen wisse man, in welcher Form sich die jüngsten Beschlüsse auf die Entwicklung der Pandemie auswirkten. Die beschlossenen Spielräume sollten „möglichst eng und nicht möglichst weit“ genutzt werden, um den Überblick über die Lockerungen zu behalten. Außerdem wäre es „jammerschade“, erklärte die Kanzlerin, wenn die ersten Erfolge im Kampf gegen das Virus gefährdet würden. „Wir sind noch nicht über dem Berg.“ Zugleich betonte Merkel: „Ich weiß ja um die Not vieler Menschen.“ Am besten könne man dieser Not aber begegnen, wenn man „weiter auch die Kraft zu harten und  strengen Maßnahmen aufbringt“.

Für die Opposition ist die Warnung der Kanzlerin jetzt Munition: Wenn sich Politiker über sinnvolle Öffnungsstrategien Gedanken machen würden, „dann verdient das Respekt und nicht Verächtlichmachung“, wetterte FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg. Es sei keine „Majestätsbeleidigung, über politische Lösungen zu streiten“. Grünen-Chefin Annalena Baerbock kommentierte die Äußerung der Kanzlerin so: Wenn das Vertrauen in die Maßnahmen jetzt schwinde, „weil die Ansagen unklar sind, dann ist das fatal“.

Das Thema der Lockerungen wird auch im Bundestag eine Rolle spielen. Dort gibt die Kanzlerin am kommenden Donnerstag eine Regierungserklärung zur Corona-Lage ab. Die 90-minütige Aussprache danach dürfte durchaus kontrovers werden.