„Mit der Frührente angefreundet“
Menschen jenseits der 60 haben auf dem Arbeitsmarkt oft keine Chance mehr. Vielen bleibt nur der Abschied vom Beruf.
Wuppertal/Düsseldorf. Der Arbeitsmarkt hat Wolfgang Wehrmeister in die Frührente gedrängt. Als Angestellter erlebte er zwei Insolvenzen. Danach sah er für sich kaum noch eine Chance auf dem Stellenmarkt und beantragte im vergangenen Herbst die Rente — mit 61 Jahren. Wehrmeister war lange selbstständig und nur neun Jahre fest angestellt. „Bei einer geringen Rente fallen auch meine Abschläge gering aus“, zieht er Bilanz. Er kommt zurecht — und das Beste aus seiner Lage: Mehrmals in der Woche engagiert er sich ehrenamtlich bei der Arbeiterwohlfahrt im Düsseldorfer Stadtteil Unterbilk. Und doch schreibt er immer noch Bewerbungen, wenn er interessante Stellen sieht.
Mittlerweile beantragt fast jeder zweite deutsche Arbeitnehmer Frührente. Die Motive sind vielfältig: Die einen wünschen sich mehr Freizeit und sind dafür auch bereit, auf einen Teil ihrer Rente zu verzichten. Doch andere haben kaum eine Wahl, weil der Arbeitsmarkt ihnen keine Perspektive mehr bietet oder die Arbeit für Menschen jenseits der 60 zu hart geworden ist.
Ein klassisches Beispiel für diese Gruppe sind Kranken- und Altenpfleger. Die allerwenigsten erreichen das Rentenalter in ihrem angestammten Arbeitsfeld. „Pflege ist körperlich und psychisch sehr belastend“, erklärt Beate Linz, Geschäftsbereichsleiterin „Leben im Alter“ der Diakonie Düsseldorf. In vielen Fällen suchen Diakonie und Pflegekräfte nach einem Ausweg. „Wo möglich, bieten wir Altersteilzeit oder eine Alternativstelle im Innendienst an, die in der Regel sehr rege genutzt wird“, sagt Linz.
Doch nicht immer gelinge dies. „Wenn wir keine Lösung finden können, bleibt den meisten nur der Gang in die Frührente, bei jüngeren greift die Erwerbsunfähigkeitsrente“, erklärt Linz. Jedoch müsse dies von Fall zu Fall beraten werden, da die Pfleger anschließend auch mit den Abschlägen bei der Rente zurechtkommen müssten, gibt Linz zu bedenken.
Auch im Handwerk ist die Belastung oft höher als es ein Körper über 60 Jahre aushalten kann. „Maurer, Dachdecker und Heizungsinstallateure halten das nicht durch“, sagt der Wuppertaler Kreishandwerksmeister Arnd Krüger. Oft arbeiteten sie seit ihrem 14. Lebensjahr. „Doch viele Betriebe sind zu klein, um Stellen im Innendienst anzubieten.“ Dann bliebe nur der Gang in die Frührente mit Abstrichen. „Man kann versuchen, die Verluste zu vermeiden, indem man sehr, sehr viele Untersuchungen über sich ergehen lässt, die dann belegen, dass man die Arbeit körperlich nicht mehr schafft“, nennt Krüger einen Ausweg und fordert zugleich, dass die Bedingungen des Handwerks vom Gesetzgeber besser berücksichtigt würden.
Doch es gibt Gegenbeispiele: „Ich wollte die Frührente und habe sie keinen Tag bereut“, stellt der Willicher Horst Reinhardt hingegen klar. Für ihn sei die Freizeit das Wichtigste, erklärt der heute 64-Jährige, der lange im Kundendienst einer Schraubenfirma tätig war. „Doch mit der Firma ging es bergab. Als mit 61 die Arbeitslosigkeit drohte, habe ich das so akzeptiert und die Abfindung mitgenommen.“
Nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit beantragte Reinhardt schließlich mit 63 Jahren die Frührente und hat sich mit dem neuen Leben angefreundet. Mit den Abschlägen komme er gut klar und habe nun alle Zeit der Welt für seine Hobbys: eine umfangreiche Sammlung von Modellautos und einen stets aufpolierten Opel Manta „Modell A“.