Muss ein enterbter Sohn für seinen Vater zahlen?
Die Stadt Bremen verlangte 9000 Euro Heimkosten. Der BGH entscheidet am Mittwoch darüber.
Karlsruhe. Der Fall ist eine menschliche Tragödie: Vier Jahrzehnte lang wollte ein Friseur aus Bremen nichts von seinem Sohn wissen. Nach der Scheidung brach er den Kontakt ab, reagierte auf Annäherungsversuche ablehnend und enterbte sein Kind später. 2009 verlangte die Stadt Bremen von dem Sohn Unterhalt für den Aufenthalt des Vaters im Pflegeheim. Ob das gerecht ist, entscheidet am Mittwoch der Bundesgerichtshof (BGH).
Die Stadt will 9000 Euro von dem Beamten, der selbst schon im Pensionsalter ist. 2008 war der Vater aus gesundheitlichen Gründen in ein Pflegeheim gezogen, in dem er bis zu seinem Tod vor genau zwei Jahren lebte. Doch seine Rente reichte für die Kosten des Heims nicht aus, die Stadt musste einspringen.
Der Sohn weigerte sich zu zahlen und scheiterte vor dem Amtsgericht Delmenhorst. Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg gab dem Beamten dagegen recht. Die Inanspruchnahme des Sohnes sei grob unbillig, hieß es. Der Vater habe sich bewusst und dauerhaft von jeglicher Beziehung abgelöst und sich damit außerhalb des familiären Solidarverbandes gestellt. Das sei außerdem auf eine Weise geschehen, die für sein Kind traumatisierend gewesen sei.
Tatsächlich wandte sich der Vater nach der Trennung 1971 radikal von der Familie ab. Sporadische Vater-Sohn-Kontakte kamen nach einem Jahr zum Erliegen. Auf Kontaktversuche seines Kindes in den folgenden Jahren reagierte der Friseur ablehnend.
So war ihm das bestandene Abitur des Jungen nur ein Achselzucken wert, dessen Verlobung quittierte er mit dem Satz: „Du bist ja verrückt“ und 1998 enterbte er seinen Sohn bis auf den „strengsten Pflichtteil“. Der Vater habe den Sohn regelrecht gemieden und Desinteresse an ihm gezeigt, sagte der Vorsitzende Richter Hans-Joachim Dose in der mündlichen Verhandlung des BGH im Januar. Bis heute belastet das den Beamten schwer.
Ob es richtig ist, einen derart traumatisierten Menschen noch mit Unterhalt zu belasten, muss der BGH nun entscheiden. Das Urteil könnte bundesweit Auswirkungen auf Städte und Gemeinden haben. Denn sie müssen oft über die Sozialhilfe für die Pflegekosten alter Menschen aufkommen, wenn deren Rente dafür nicht reicht. 2013 waren das nach Angaben des Deutschen Städtetags etwa 3,7 Milliarden Euro.
Bisher hat der BGH zwei ähnliche Fälle gegensätzlich entschieden. So musste ein Mann 2010 der Stadt Gelsenkirchen 40 000 Euro für die Unterbringung seiner Mutter im Heim zahlen, obwohl die psychisch kranke Frau ihn nicht gut behandelt hatte. 2004 bekam eine erwachsene Tochter beim BGH recht. Sie musste keinen Unterhalt für ihre Mutter zahlen, weil diese sie als Einjährige in die Obhut der Großeltern gegeben und kaum Kontakt zu ihr hatte.