Nächste Pflegereform soll Milliarden kosten

Berlin (dpa) - Seit Jahren arbeiten praktisch alle hochrangigen Pflege-Experten in Deutschland im Regierungsauftrag an der Blaupause für eine Großreform. Auf die Beitragszahler sollen Milliardenkosten zukommen.

„Bei Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs (...) ergäben sich (...) Mehrausgaben von circa zwei Milliarden Euro pro Jahr“, heißt es nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur vom Freitag im Entwurf des Berichts eines hochrangigen Expertenbeirats der Bundesregierung. Er soll kommende Woche an Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) übergeben werden.

Ein neue Definition von Pflegebedürftigkeit soll vor allem bewirken, dass die immer zahlreicheren Menschen mit Demenz mehr Geld aus den Pflegekassen bekommen. Einige Verbesserungen für Demente hatte es bereits mit einer Anfang des Jahres in Kraft getretenen Reform gegeben. Bahr hatte sich mit umfassenderen Plänen nicht durchsetzen können und betont, die Änderungen seien ein Vorgriff auf eine geplante größere Reform. Diese soll nun - je nach Wahlausgang und den Plänen einer künftigen Regierung - nun nach der Bundestagswahl im Herbst kommen.

Die Pläne könnten je nach konkreter Ausgestaltung auch andere Mehrkosten verursachen. In dem Berichtsentwurf steht nach Angaben von Beiratsmitgliedern weiter, es komme auf den gesamten Aufwand an. „Die wissenschaftlich zuverlässige Ermittlung dieses Gesamtaufwands ist aus methodischen Gründen nicht möglich.“ Ein Beiratsmitglied sagte der dpa: „Überlegungen sehen vor, dass wir 300 000 bis 500 000 Menschen mehr in den regulären Leistungskatalog hineinbekommen. Das würde dann aber vier Milliarden Euro kosten.“

Der 37-köpfige Expertenbeirat hatte auf Bahrs Bitten 15 Monate lang an dem Bericht gearbeitet. In anderer Zusammensetzung hatte er bereits für die frühere Ministerin Ulla Schmidt (SPD) gearbeitet und 2009 erste Vorschläge vorgelegt.

Bahr forderte angesichts des Mangels an Altenpflegern in Deutschland Pflegebranche und -kassen zu Verbesserungen auf. Die Bundesregierung habe gesetzliche Rahmenbedingungen für leistungsgerechte Bezahlung und angemessene Personalausstattung geschaffen, sagte er der dpa. Die Selbstverwaltung müsse diese nutzen. „Hier erwarte ich mehr Engagement von den Vertragspartnern auf Bundes-, Landes- und regionaler Ebene.“

Zuletzt hatten es wiederholt erschütternde Berichte über angeblich trostlose Zustände in Pflegeheimen gegeben. Bahr sagte auch, die Ausbildungszahlen in der Altenpflege sollten pro Jahr um zehn Prozent steigen. Das sehe eine vom Bund initiierte Offensive vor.

Mehrere Mitglieder des Expertenbeirats sagten der dpa, hinter den Kulissen werde noch heftig um die Endfassung des 220-Seiten-Berichts gerungen. Strittig sei noch, ob die Leistungen für alle bereits anerkannten Pflegebedürftigen dauerhaft garantiert werden sollen. Andernfalls könnten bestimmte Pflegebedürftige nach einer gewissen Dauer nach der Reform sogar schlechter gestellt werden.

Mehrere Experten zeigten gedämpfte Erwartungen an eine künftige Reform. Der Bremer Pflegeexperte Heinz Rothgang sagte der dpa: „Der Beirat hat technische Fragen wie Übergangsregelungen gut geklärt. Die großen Fragen hat er nicht klären können. Das liegt vor allem daran, dass der Minister nicht gesagt hat, wie viel es kosten darf.“

Der Pflegeexperte des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, Dieter Lang, sagte der dpa: „Durch einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff geben wir nur den Anstoß, dass sich etwas zum Besseren wenden könnte.“ So müsse es unter anderem bundesweit einheitliche Regeln für die Personalausstattung in Heimen geben.

Der Vorsitzende des Kuratoriums Deutsche Altershilfe, Jürgen Gohde, wertete die jüngste Pflegereform mit Blick auf die kommenden Pläne nur als Brücke, „die ihren Belastungstest vor sich hat“. Der Präsident des Deutschen Pflegerats, Andreas Westerfellhaus, sagte der dpa: „Wir brauchen eine andere Form der gesellschaftlichen Debatte darüber, was uns Pflege älterer Menschen heute wert ist.“ Adolf Bauer, Präsident des Sozialverbands Deutschland, forderte höhere Löhne, mehr Personal und mehr Anerkennung für Pfleger.