Neonazi-Affäre: Geheimakten entlasten Verfassungsschutz
Berlin (dpa) - Die Offenlegung von Geheimakten zur Neonazi-Affäre hat das Bundesamt für Verfassungsschutz entlastet. Die Unterlagen ergaben keine Hinweise darauf, dass der Inlandsgeheimdienst V-Leute in der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) oder ihrem direkten Umfeld geführt hat.
Das erklärten die Obleute des Bundestags-Untersuchungsausschusses am Mittwoch nach Einsicht in insgesamt 45 Aktenordner übereinstimmend. Trotzdem bleibt die Behörde unter Druck. Der Ruf nach einer Verfassungsschutzreform wird immer lauter. Grüne und Linke brachten sogar eine Auflösung des Bundesamts ins Gespräch.
Bei der Akteneinsicht bekamen die Abgeordneten erstmals echte Namen von V-Leuten des Verfassungsschutzes zu sehen. Das Bundesamt hatte in den den Jahren 1997 bis 2003 Verbindungs-Leute im Umfeld der Neonazi-Gruppe Thüringer Heimatschutz im Einsatz. „Keiner dieser acht V-Leute hat etwas mit den Personen zu tun, gegen die ermittelt wird“, sagte Unionsobmann Clemens Binninger (CDU) nach der Akteneinsicht. „Insofern ist Vertrauen wiederhergestellt.“
SPD-Obfrau Eva Högl sprach von einem „wichtigen Beitrag, um Verschwörungstheorien den Boden zu entziehen“. Grünen-Obmann Wolfgang Wieland schränkte allerdings ein: „Das Schreddern (der Akten) ist damit nicht geheilt.“ Verfassungsschützer hatten im November 2011 Akten zerschnitten, nachdem die Terrorgruppe NSU aufgeflogen war, die für zehn Morde in den Jahren 2000 bis 2006 verantwortlich gemacht wird. Einen Teil der rekonstruierten Unterlagen konnten die Mitglieder des Untersuchungsausschusses am Mittwoch einsehen.
Linke-Obfrau Petra Pau sagte, es blieben Fragen, die an den scheidenden Verfassungsschutzpräsidenten Heinz Fromm und andere Zeugen zu richten seien. FDP-Obmann Hartfrid Wolff will die Akten ein zweites Mal einsehen. „Ich brauche weitere Informationen.“ Auch die geheimen Akten des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) zur Neonazi-Affäre werden für den Untersuchungsausschuss offengelegt. Das kündigte das Verteidigungsministerium an.
Die Diskussion über die Zukunft des Verfassungsschutzes lief unterdessen auf Hochtouren weiter. Grünen-Chefin Claudia Roth sagte der „Frankfurter Rundschau“, wer wie das Bundesamt geheime Akten vernichte, lege die „Axt an die eigene Legitimationsbasis“. Nach dem Rückzug von Präsident Fromm stehe nun „das ganze Konstrukt der Behörden vor der politischen Insolvenz“. Der Verfassungsschutz habe sich „zum blinden Fleck der Demokratie“ entwickelt. Im Zweifel dürfe die Politik „nicht davor zurückschrecken, den Systemfehler, der beim Verfassungsschutz sichtbar wird, konsequent zu korrigieren“.
Die Linke-Vorsitzende Katja Kipping plädierte unverhohlen für eine Abschaffung des Verfassungsschutzes, der auch ihre Partei beobachtet. „Wenn man etwas für die Sicherheit tun will, dann sollte man das Geld lieber für eine ordentliche Mittel- und Personalausstattung der Polizei einsetzen“, sagte sie dem Radiosender hr-info.
Der Innenausschuss-Vorsitzende Wolfgang Bosbach (CDU) hält den Verfassungsschutz dagegen trotz der Pannen für unverzichtbar. „Gerade die Ereignisse der letzten Monate haben ja gezeigt, wie wichtig die Arbeit und die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes sind“, sagte er dem Fernsehsender Phoenix. Allerdings sei die Arbeit der Behörde verbesserungswürdig. Der richtige Zeitpunkt, über organisatorische und möglicherweise personelle Veränderungen nachzudenken, sei der Abschluss der Ermittlungen zur Neonazi-Mordserie im Spätherbst.
Die Türkische Gemeinde in Deutschland forderte weitere personelle Konsequenzen. Dem Chef des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, legte der Vorsitzende Kenan Kolat den Rücktritt nahe.