Interview Niedermayer: "Keine Zeitenwende für die Grünen"
Parteienforscher Niedermayer über Grün-Schwarz in Stuttgart.
Berlin. In Baden-Württemberg stehen die Zeichen auf Grün-Schwarz. Die Koalitionsverhandlungen zwischen der Öko-Partei und der CDU als Juniorpartner sollen am heutigen Freitag beginnen. Für den Berliner Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer ist diese Konstellation noch gewöhnungsbedürftig, wie er im Gespräch mit unserem Korrespondenten Stefan Vetter verdeutlichte:
Herr Niedermayer, geht Ihnen "Grün-Schwarz" schon leicht über die Lippen?
Oskar Niedermayer: Überhaupt nicht. Das ist schon eine Zäsur für die CDU, die sich seit ihrer Gründung als Volkspartei begreift und mit diesem Status eine Regierungsfunktion unter ihrer Führung verbindet. Dass das nun erstmals anders herum gehen soll, bereitet dem baden-württembergischen CDU-Verband doch dramatische Probleme. Das ist man nicht gewöhnt. Übrigens nicht nur in Baden-Württemberg.
Aber auch die Grünen betreten Neuland, oder?
Oskar Niedermayer: Die Grünen haben ihr einschneidendes Erlebnis in Baden-Württemberg schon mit der Wahl vor fünf Jahren gehabt, als man zum allerersten Mal einen Ministerpräsidenten stellte. Insofern ist das für die Grünen jetzt keine Zeitenwende.
Kommen die Grünen nun in die Rolle einer Volkspartei?
Oskar Niedermayer: Nein. Baden-Württemberg ist ein Sonderfall. Das haben auch die beiden anderen Wahlen in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt gezeigt, wo die Grünen gerade noch so in die Landtage eingezogen sind. Und im Bund sind sie natürlich auch weit entfernt von einer Volkspartei.
In Stuttgart galt die CDU über Jahrzehnte als "Staatspartei". Dort ist sie besonders konservativ. Das spricht nicht unbedingt für eine grün-schwarze Innovation.
Oskar Niedermayer: Völlig richtig. Nur musste die CDU dort auch dazu lernen. Schon 2011 ging die Rolle als geborene Regierungspartei verloren. Das hat in Teilen der Partei ein Umdenken bewirkt. Nach der Oppositionsrolle kommt nun die Rolle als Juniorpartner in der Regierung. Dass die BaWü-Grünen die realsten unter den Partei-Realos sind, ist dabei sicher kein Nachteil.
Und wenn die Koalitionsverhandlungen trotzdem scheitern?
Oskar Niedermayer: Dann bleiben zwei Möglichkeiten: eine Minderheitsregierung oder Neuwahlen. Beides ist nicht gewollt. Denn Neuwahlen könnten die AfD weiter stärken. Und eine Minderheitsregierung hat in den alten Bundesländern noch nie über eine gesamte Wahlperiode geklappt. Grün-Schwarz ist also zum Erfolg verdammt.
Im Land Berlin sind Union und Grüne nach einer aktuellen Umfrage nahezu gleich stark. Wäre die Stuttgarter Konstellation auch in der Hauptstadt denkbar?
Oskar Niedermayer: Das kann ich mir nicht vorstellen. Der Berliner Landesverband der Grünen steht viel weiter links als der in Baden-Württemberg. Auch muss sich die CDU sich im Hinblick auf das Erstarken der AfD profilieren, zum Beispiel bei der inneren Sicherheit. Da gibt es große Distanzen zu den Grünen. Deshalb läuft die Wahl im September in Berlin eher auf Rot-Rot-Grün hinaus, falls es für Rot-Grün nicht reicht.
Das heißt, nur in Stuttgart ist der Boden für Grün-Schwarz fruchtbar?
Oskar Niedermayer: Auf absehbare Zeit sehe ich kein anderes Bundesland für diese Option. Weder von den Größenverhältnissen her noch von den politischen Inhalten.
In Hessen regiert eine schwarz-grüne Regierung schon seit drei Jahren ohne großes Aufsehen. Ist das auch eine realistische Option nach der Bundestagswahl 2017?
Oskar Niedermayer: Für die Bundesebene war die Regierungsbildung in Hessen zweifellos bedeutsamer als die jetzt anstehende in Stuttgart. In Hessen scheint Schwarz-Rot tatsächlich gut zu funktionieren. So gesehen ist eine Hürde weg, um für den Bund darüber zu reden. Ob es dazu kommt, steht auf einem ganz anderen Blatt. Nach den aktuellen Umfragen hätte Schwarz-Grün im Bund nicht mal eine rechnerische Mehrheit.