Flüchtlinge "Obergrenze light": CDU und CSU erzielen Einigung im Flüchtlingsstreit

Berlin (dpa) - CDU und CSU haben sich nach jahrelangem Streit über eine Flüchtlings-Obergrenze beim Thema Zuwanderung geeinigt. Der Kompromiss enthält die Zahl von 200.000 Menschen als Obergrenze.

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Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Teilnehmerkreisen der Unionsverhandlungen über einen gemeinsamen Kurs für die anstehenden Gespräche über ein Jamaika-Bündnis.

Mit einem Kompromiss in der lange schwelenden Obergrenzen-Debatte wäre das wichtigste Hindernis für eine gemeinsame Linie der zerstrittenen Unionsschwestern in den anstehenden Jamaika-Verhandlungen mit FDP und Grünen beseitigt.

In der der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Endversion der Einigung heißt es: „Wir wollen erreichen, dass die Gesamtzahl der Aufnahmen aus humanitären Gründen (Flüchtlinge und Asylbewerber, subsidiär Geschützte, Familiennachzug, Relocation und Resettlement, abzüglich Rückführungen und freiwillige Ausreisen künftiger Flüchtlinge) die Zahl von 200.000 Menschen im Jahr nicht übersteigt.“

Subsidiär Geschützte sind Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus, „Relocation und Resettlement“ meint die gesteuerte Umsiedlung von Flüchtlingen. Die Zuwanderung von Arbeitskräften oder EU-Ausländern ist nicht betroffen.

CDU und CSU haben sich demnach auf konkrete Maßnahmen geeinigt, die die Einhaltung dieses Rahmens von 200 000 Menschen sichern soll. Genannt werden dabei die Themen Fluchtursachenbekämpfung, Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern nach dem Vorbild des EU-Türkei-Abkommens, der Schutz der EU-Außengrenzen, die EU-weite gemeinsame Durchführung von Asylverfahren an den Außengrenzen sowie gemeinsame Rückführungen von dort sowie die Reform des Gemeinsamen europäischen Asylsystems (GEAS) und des Dublin-Systems.

Die Unionsspitzen öffnen zugleich eine Ausnahmemöglichkeit von der Zahl 200 000. In dem Einigungstext heißt es: „Sollte das oben genannte Ziel wider Erwarten durch internationale oder nationale Entwicklungen nicht eingehalten werden, werden die Bundesregierung und der Bundestag geeignete Anpassungen des Ziels nach unten oder oben beschließen.“

CSU-Chef Horst Seehofer hat damit im Streit mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) einen gesichtswahrenden Kompromiss erreicht. Er hatte in den vergangenen Jahren gegen Merkels strikten Widerstand auf einer Flüchtlings-Obergrenze in dieser Größenordnung bestanden. Auch mit den Grünen dürfte eine Obergrenze in den Verhandlungen über ein Jamaika-Bündnis nicht durchzusetzen sein.

Auch künftig soll kein Asylsuchender an der deutschen Grenze abgewiesen werden. In Fällen, in denen Menschen an der Grenze Asyl beantragten, werde es auch künftig ein ordentliches Verfahren geben, hieß es weiter. Damit werde Merkels Zusage umgesetzt, dass das Grundrecht auf Asyl keine Obergrenze kenne.

CDU und CSU wollen sich zudem für eine EU-weite Lösung im Umgang mit Asylsuchenden und Flüchtlingen einsetzen. Die illegale Migration solle reduziert und die Schlepperkriminalität besser bekämpft werden. Der Kompromiss sieht nach dpa-Informationen auch eine Ausnahmeregelung vor. Demnach sollen in Ausnahmesituationen - beispielsweise humanitären Krisen - Bundesregierung und Bundestag sich mit der Frage befassen, wie man mit einem möglichen neuen Flüchtlingsansturm auf Europa und Deutschland umgeht.

Neu ankommende Asylbewerber sollen demnach künftig in speziellen Aufenthaltszentren bleiben, bis über ihre Verfahren entschieden ist. Verfahren sollen nach den Plänen der Unionsschwestern in „Entscheidungs- und Rückführungszentren“ gebündelt werden. Vorbild seien entsprechende Einrichtungen in den bayerischen Städten Manching und Bamberg sowie im baden-württembergischen Heidelberg. Falls Anträge abgelehnt werden, sollten die Betroffenen aus diesen Einrichtungen zurückgeführt werden.

Zudem wird in dem Entwurf die Forderung untermauert, die Liste der sicheren Herkunftsländer zu erweitern. Dies gelte mindestens für Marokko, Algerien und Tunesien. CDU und CSU einigten sich zudem auf ein neues Gesetz zur Steuerung der Fachkräftezuwanderung.

Eine Unterrichtung der Öffentlichkeit über den Kompromiss war nach den Informationen am Abend nicht geplant. Teilnehmerkreise berichteten, man gehe ungeachtet eines Durchbruchs beim Thema Obergrenze von langen nächtlichen Beratungen über weitere Fragen aus.

Seehofer drang vor dem Treffen - auch angesichts der Wahlerfolge der AfD - auf eine konservative Rückbesinnung der Union. In einem Zehn-Punkte-Plan für das Unionstreffen hatte Seehofer eine Hinwendung zu klassisch konservativen Themen wie Leitkultur und Patriotismus gefordert, um die gesamte Union auf einen konservativeren Kurs zurückführen. In dem Papier war der umstrittene Begriff Obergrenze ohne Nennung einer konkreten Zahl in einer Art Überschrift enthalten. Im erklärenden Text wurde dann von „Begrenzung“ gesprochen.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte vor dem Treffen auf die Frage, ob die Schwesterparteien vor der schwierigsten Situation seit ihrem Kreuther Trennungsbeschluss von 1976 stünden, sagte er: „Es ist eine nicht ganz einfache Situation.“ Man habe aber eine gemeinsame Verantwortung, „eine möglichst stabile Regierung für die Deutschland zu bilden“.

Die Union war bei der Wahl am 24. September zwar stärkste Kraft geworden, hatte aber mit 32,9 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949 eingefahren. Nachdem sich die SPD auf eine Oppositionsrolle festgelegt hat, will Merkel mit FDP und Grünen über ein Bündnis verhandeln.

FDP-Generalsekretärin Nicola Beer machte eine Jamaika-Koalition auch vom Klärungsprozess innerhalb von CDU und CSU abhängig. Die FDP könne kein „Stützrad“ einer Politik mehr sein, in der es keine größeren Zukunftsvisionen abseits der Tagespolitik gebe, sagte Beer auf dem Bundeskongress der Jungen Liberalen in Jena. Sie verlangte „ein Projekt des Aufbruchs“.

Die Grünen fordern von der Union ein baldiges Signal zur Aufnahme von Jamaika-Sondierungen. „Die Sondierungsgespräche, die schwer genug werden, müssen spätestens nach der Niedersachsenwahl beginnen“, sagte Parteichef Cem Özdemir am Sonntag. Die Probleme würden nicht warten.

CDU-Chefin Merkel hatte am Samstag beim „Deutschlandtag“ der Jungen Union angekündigt, man werde mit FDP und Grünen „um die richtigen Antworten ringen“. Über einen Koalitionsvertrag werde ein Sonderparteitag der CDU entscheiden.