Pflege: Traumberuf mit Schönheitsfehlern
Im Kampf gegen den Personalmangel in der Pflege setzt NRW verstärkt auf ausländische Fachkräfte. Eine Brasilianerin berichtet von ihren Erfahrungen.
Düsseldorf. Wenn Rita de Cássia Rodrigues dos Santos über ihren Beruf spricht, hat sie ein Glänzen in den Augen. „Die Menschen haben völlig falsche Vorstellungen von der Pflege“, sagt die quirlige Brasilianerin in hervorragendem Deutsch. „Sie wissen gar nicht, wie spannend und vielseitig der Jobs ist.“ Bei der Diakonie in Düsseldorf absolviert die 27-Jährige zurzeit eine Ausbildung zur Altenpflegerin und ist bereits im zweiten Lehrjahr. Bereut hat sie ihre weitreichende Entscheidung bislang keinen Tag, wie sie versichert. „Man kann dabei in Lebenswelten und Biografien anderer Menschen eintauchen wie in kaum einem anderen Beruf. Ich fühle mich reich beschenkt.“
Menschen wie sie werden im Zuge des Fachkräftemangels in Nordrhein-Westfalen und im Rest der Republik händeringend gesucht. Der heutige Tag der Pflege lenkt die öffentliche Aufmerksamkeit auf diese Problematik. Bundesweit wurden allein im vergangenen Jahr fast 15 000 offene Stellen für Fachkräfte in der Pflege gemeldet.
Zum Ende ihrer Ausbildung hat die junge Frau somit ausgezeichnete Chancen auf einen Job — ein Argument für ein Leben in Deutschland, das dann auch ihre zunächst skeptische Familie im heimischen São Paulo überzeugte. „Für meine Eltern war meine Entscheidung anfangs schwer zu akzeptieren. Sie haben sich Sorgen gemacht, ob ich es allein in Deutschland schaffen werde.“ Rita ist als einziges von sieben Kindern wegen besserer Jobperspektiven nach Europa gegangen. Dabei hatte sie ursprünglich ganz andere Pläne. In Brasilien hatte sie zunächst Deutsch als Fremdsprache studiert und wollte Lehrerin werden. Ein Praktikum in der Altenpflege in Deutschland hatte sie zunächst nur gemacht, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Doch es kam anders.
„Die Arbeit hat mir großen Spaß gemacht und ich habe gemerkt, dass weit mehr dahinter steckt, als ältere Menschen nur zu waschen und ihnen essen zu reichen, also sie ,satt und sauber’ zu halten, wie von einigen behauptet wird.“
Doch trotz der Begeisterung für ihren Job sieht Rita auch einige kritische Aspekte, die aus ihrer Sicht im deutschen Pflegesystem nicht gerade optimal laufen: so zum Beispiel den chronischen Personalmangel. „Diese Unterbesetzung macht jeden fertig“, bringt sie das Problem auf den Punkt. Denn oft könne sie den pflegebedürftigen Menschen nicht in dem Maß gerecht werden, wie sie es sich eigentlich wünscht. „Wir haben ein sehr gutes Team und wir nehmen uns die Zeit für die Menschen. Aber es ist eine ständige Herausforderung.“
Eine Einschätzung, die NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) mit ins Ministerium nimmt, nachdem er das Ferdinand-Heye-Haus, eine Seniorenpflege-Einrichtung in Düsseldorf, besucht und sich mit einigen Pflegeschülern unterhalten hatte.
Der chronische Personalmangel ist nur ein Anliegen, das den Auszubildenden unter den Nägeln brennt: „Ich habe gemerkt, dass bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse noch einiges im Argen liegt. Da gibt es noch Handlungsbedarf.“ Auch benötige man in NRW flächendeckende Deutschkurse, die auch auch an Wochenenden stattfinden, damit zugewanderte Pflegekräfte deren Besuch zeitlich einrichten können.
Außerdem plädierte Laumann dafür, bestehende Pflegekonzepte nicht gegeneinander auszuspielen: „Ich war nie ein Freund des Grundsatzes ,ambulant vor stationär’, denn nicht für jeden ist es automatisch das Richtige, zuhause gepflegt zu werden. Manche ältere Menschen entscheiden sich ganz bewusst für die Betreuung in einer Einrichtung. Das muss man respektieren und darf es nicht bewerten.“
Positiv hebt der Minister hervor, dass auch „lebenserfahrene Frauen“ über das von der Bundesagentur für Arbeit geförderte Programm „Wegebau“ immer häufiger, etwa im Rahmen einer beruflichen Neuorientierung, den Weg in die Pflege fänden. „Da haben wir eine gute Mischung der Altersgruppen. Das finde ich klasse.“
Ein Weg, den auch Gabriele Nikodem aus Düsseldorf eingeschlagen hat: Wie ihre brasilianische Kollegin absolviert auch die 52-Jährige aktuell eine Ausbildung zur Altenpflegerin. Auch sie ist über ein Praktikum an den Job gelangt. Bedenken, sich in einem späteren Lebensabschnitt noch einmal beruflich neu zu orientieren, hatte sie nicht: „Ich hatte eine lange Familienphase. Jetzt, wo mein Sohn aus dem Haus ist, war das für mich die Chance, auch in meiner Ehe finanziell unabhängig zu werden und etwas Sinnvolles zu tun“, sagt sie. „Ich möchte anderen Frauen Mut machen, dass sie das auch schaffen können.“
Gabriele Nikodem und Rita de Cássia Rodrigues dos Santos machen ihre dreijährige Ausbildung noch nach dem alten System. Ab 2020 werden dann auf Grundlage eines Bundesgesetzes Pflegekräfte für kranke Kinder, kranke Erwachsene und alte Menschen die ersten beiden Ausbildungsjahre gemeinsam durchlaufen und sich erst im dritten Ausbildungsjahr spezialisieren.
Die Brasilianerin ist zwar mit ihren aktuellen Ausbildungsverhältnissen zufrieden, kann dem neuen Konzept aber auch etwas abgewinnen: „Zwischen Kranken- und Pflegekräften gibt es manchmal gewisse Vorurteile gegenüber der jeweils anderen Berufsgruppe. Deshalb finde ich es gut, wenn alle erst mal den gleichen Weg gehen.“