Polizei findet 15 weitere Morde nach NSU-Muster in Archiven
Berlin (dpa) - Bei der Überprüfung von Hunderten unaufgeklärten Verbrechen sind die Sicherheitsbehörden auf mehr als ein Dutzend weitere Tötungsdelikte mit rechtsextremem Hintergrund gestoßen.
Demnach kommen die Kriminalämter in Bund und Ländern zu dem Ergebnis, dass es seit 1990 bei insgesamt 745 geprüften Fällen mindestens 15 weitere Morde gegeben hat, die auf einen rechtsextremen Hintergrund schließen lassen. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Fraktion hervor, über die die „Süddeutsche Zeitung“ als erstes berichtete.
Die Sicherheitsbehörden hatten die Überprüfung der alten Fälle nach Bekanntwerden der Mordserie der Neonazi-Terrorzelle NSU eingeleitet. Der rechten Gruppe werden zwischen den Jahren 2000 und 2007 zehn Morde zur Last gelegt, an neun Männern aus Zuwandererfamilien und einer Polizistin. Polizei und Geheimdienste waren der Bande jahrelang nicht auf die Spur gekommen. Die Terrorzelle flog erst Ende 2011 auf. Lange blieben die rechtsextremen Hintergründe der Taten unentdeckt.
Schon seit Jahren gibt es Streit über die Zahl der Menschen, die von rechtsextremen Tätern umgebracht wurden. In der offiziellen Statistik tauchten bislang etwa 60 Todesfälle mit rechtem Hintergrund auf. Zivilgesellschaftliche Netzwerke und Bündnisse listen dagegen seit langem deutlich mehr Fälle auf - zum Teil drei Mal so viel.
Bund und Länder nahmen sich daher unaufgeklärte Verbrechen aus der Vergangenheit noch mal vor: insgesamt 3300 Tötungsdelikte und Tötungsversuche von 1990 bis 2011. In 745 Fällen fanden die Kriminalämter Anhaltspunkte für ein mögliches rechtes Tatmotiv und schauten sich diese Fälle noch einmal genauer an.
Der Stand ist nun, dass seit 1990 bei 69 Mordanschlägen 75 Menschen durch rechtsradikale Täter getötet wurden - und damit 15 mehr als bislang offiziell gezählt. Darunter sind auch mehrere Fälle nach 2011. Die Prüfung ist allerdings noch nicht offiziell beendet. Ein Abschlussbericht steht noch aus.
Kritik gibt es jedoch bereits an der Art und Weise der Überprüfung. Besonders viele Fälle - nämlich neun - meldete das Land Brandenburg nach. Dort flossen zur Einordnung der Taten laut Bericht - anders als in anderen Ländern - auch Informationen aus der Zivilgesellschaft und von Angehörigen mit ein. Das Bundeskriminalamt (BKA) dagegen habe auf solche Zuarbeit verzichtet. Das stößt bei den Grünen auf Kritik. Die Abgeordnete Monika Lazar sagte der „Süddeutschen Zeitung“: „Der Bund hat die durch ihn koordinierte Altfallprüfung sehenden Auges an die Wand gefahren.“
Das Bundesinnenministerium hielt dagegen, das BKA selbst habe bis auf eine Ausnahme keine eigenen Bewertungen vorgenommen, sondern vor allem Informationen der Länder zusammengetragen. Die Länder hätten selbst über ihr Vorgehen entschieden - und Brandenburg habe einen etwas anderen Weg gewählt.