Studie zu Populismus Populismus wird allmählich zum Massenphänomen

Berlin · Der Duden definiert „Populismus“ als eine von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik, mit dem Ziel, durch eine Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Wähler zu gewinnen. In Deutschland ist das - noch? - nicht mehrheitsfähig.

Zahlreiche unterschiedliche Wahlplakate für die Bundestagswahl 2017 hängen in Mahrzahn an den Laternenpfählen.

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

In der politischen Arena ist „Populismus“ ein Kampfbegriff, um Stammtisch-Polterer und unrealistische Vorschläge abzuqualifizieren. Doch auch Wissenschaftler nutzen den Begriff, um bestimmte Positionen und Kommunikationsmuster zu beschreiben.

Die Deutschen waren gegen Populismus lange Zeit weitgehend immun - anders als viele EU-Bürger in Italien, Österreich, Ungarn oder Frankreich. Doch das ändert sich gerade. Und zwar obwohl die Wirtschaft brummt und die Arbeitslosenquote auf ein historisch niedriges Niveau gesunken ist. Mehr als drei von zehn Wahlberechtigten (30,4 Prozent) sind laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung „populistisch eingestellt“. Das sind etwa vier Prozent mehr als im Vorjahr. Auch die „Intensität“ dieser Einstellung habe zugenommen, stellen die Forscher fest.

Populismus ist aus wissenschaftlicher Sicht eine „dünne Ideologie“, bei der die Gesellschaft in zwei Gruppen aufgeteilt wird: Hier das „reine Volk“. Dort die „korrupte Elite“. Hinzu kommt die Kritik an den politischen Eliten, dem sogenannten Establishment. Darunter fallen Politiker, Wirtschaftsbosse und Journalisten. Ein dritter Aspekt ist die Vorstellung, es existierten einheitliche Meinungen sowohl auf der Seite des Volkes als auch bei der politischen Elite. Für Meinungsvielfalt ist im Populismus kein Platz.

Daraus ergibt sich eine oft diffuse Unzufriedenheit mit dem aktuellen politischen Angebot. Und eine Sehnsucht nach einfachen Lösungen in einer durch Globalisierung und Digitalisierung immer komplexer werdenden Welt. Davon profitiert in Deutschland laut Studie derzeit am stärksten die AfD. Aber auch die Linkspartei kann bei den Populisten punkten. Für die mitgliederstarken Traditionsparteien CDU, CSU und SPD wird dieser Trend dagegen zunehmend zum Problem.

Grüne Wähler unempfänglich für populistische Parolen

Die Grünen sind nach Einschätzung der Forscher die deutsche Partei, die am wenigsten populistische Positionen im Angebot hat. Das sei für die Grünen aber kein Problem, da ihre Anhängerschaft fast ausschließlich dem Drittel der Bevölkerung zuzurechnen sei, dass für populistische Parolen absolut unempfänglich ist.

Wie haben die Forscher das festgestellt? Das Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap hat im Auftrag der Stiftung im Frühsommer mehr als 3400 Wahlberechtigte befragt. Sie sollten angeben, welche Partei sie bei der Bundestagswahl 2017 gewählt haben und wo sie sich auf einer Links-Rechts-Skala selbst verorten. Außerdem sollten sie bestimmte Aussagen bewerten - zum Beispiel zur Frage der „Volkssouveränität“ und zur Einschätzung der politischen Elite.

Welche Partei würden Sie auf keinen Fall wählen, wurden Wahlberechtigte gefragt.

Foto: dpa/dpa-infografik GmbH

Sieben von zehn Wahlberechtigten, die populistische Positionen gut finden und sich selbst politisch rechts verorten, wählen demnach die AfD. Dass die Partei von Alexander Gauland und Jörg Meuthen trotz der teilweise rechtsnationalen Äußerungen ihrer Spitzenfunktionäre auch in der politischen Mitte Wähler mobilisieren kann, liegt nach Einschätzung der Forscher am populistischen Angebot der Partei, die sich - obgleich inzwischen in fast allen Parlamenten vertreten - weiterhin als Speerspitze der Bürger im Kampf gegen das sogenannte „Establishment“ inszeniert.

Allerdings hängt die „gläserne Decke“ beim Wählerpotenzial für die AfD den Angaben zufolge relativ niedrig. In der Befragung gaben 71 Prozent der Wahlberechtigten an, sie würden die AfD „auf keinen Fall wählen“. Das ist mehr als bei jeder anderen im Bundestag vertretenen Partei. Über die Linkspartei sagen dies 51 Prozent. Die Grünen halten 31 Prozent der Studien-Teilnehmer für unwählbar. Bei der FDP und den Unionsparteien sind es 29 Prozent.

Die SPD ist in den vergangenen Wochen zwar von einem Umfragetief zum nächsten getaumelt - und landete dabei erstmals bundesweit hinter der AfD. Das Potenzial der Sozialdemokraten ist aber zumindest theoretisch weiterhin groß. Nur 23 Prozent der Wahlberechtigten würden auf keinen Fall SPD wählen.

Die Studie zeigt außerdem: Politiker, die deutlich höhere Investitionen in den sozialen Wohnungsbau fordern, können bei den Wählern aktuell besonders viele Punkte sammeln. Wer sich gegen mehr Volksabstimmungen und für die Aufnahme von „sehr vielen neuen Flüchtlingen“ ausspricht, riskiert dagegen laut Umfrage seine Beliebtheit beim Wahlvolk.

(dpa)