Rechtslücke: Deutschland kann nicht wählen
Das bestehende Gesetz verstößt seit Jahren gegen die Verfassung. Koalition muss nun handeln.
Düsseldorf. Seit Wochen schon geistert ein Begriff durchs politische Berlin: Neuwahlen stünden unmittelbar bevor, die Koalition sei wegen der inneren Widersprüche und insbesondere wegen der Zerrissenheit vor dem Ende. Nun dürfte das Wahlergebnis der FDP in Berlin die Begeisterung der Liberalen für einen schnellen Urnengang stark geschmälert haben. Doch bisher ist dieser Schritt auch aus rechtlichen Gründen gar nicht möglich: Es gibt kein gültiges Wahlrecht. CDU/CSU und FDP wollen das nun ändern.
Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits vor drei Jahren geurteilt, dass die Regeln nicht dem Grundgesetz entsprechen. Denn die sogenannten Überhangmandate können die wahren Mehrheitsverhältnisse verzerren.
Ein Beispiel: Im Jahr 2005 hätte die CDU bei der Dresdner Nachwahl zum Bundestag ein Listenmandat verloren, wenn sie 40 000 Stimmen hinzugewonnen hätte — Ergebnis der komplexen Mischung von Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht in Deutschland. Die Zahl der Überhangmandate stieg in den vergangenen Jahren kontinuierlich. Derzeit gibt es alleine 24 dieser Abgeordneten, allesamt bei der Union.
Das Bundesverfassungsgericht hatte dem Bundestag eine Frist bis Ende Juni gesetzt, um ein neues Wahlgesetz zu schaffen. Die ist längst verstrichen, seither herrscht ein Vakuum: Deutschland kann nicht wählen.
Ein erster Versuch der Einigung über die Lager hinweg scheiterte. Jetzt legen Union und Liberale einen neuen Entwurf vor, der bereits in der kommenden Woche im Bundestag beschlossen werden soll. Der Vorstoß kommt überraschend. Unionsfraktions-Vize Günter Krings sagte, die Grundstruktur des bewährten Wahlrechts werde nicht angetastet. In der Tendenz führe die Lösung zu weniger Überhangmandaten, deren komplette Abschaffung die Opposition allerdings fordert.
Prompt kündigten SPD und Grüne an, man werde das Gesetz nicht mittragen. „Das Versprechen, gleiches Stimmgewicht für alle, wird nicht eingehalten“, sagte der SPD-Fraktionsgeschäftsführer, Thomas Oppermann. Gegebenenfalls werde man wieder vor dem Bundesverfassungsgericht klagen.