Russland wird für die Nato vom Partner zur Bedrohung

Newport (dpa) - 17 Jahre lang hat die Nato versucht, eine echte Partnerschaft mit Russland aufzubauen. Jetzt das Umdenken: Das Bündnis verstärkt die Kräfte an den östlichen Grenzen und baut eine schnelle Kampfeinheit auf.

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Erinnerungen an den Kalten Krieg leben auf.

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Erstmals seit Ende des Kalten Krieges rüstet die Nato wieder gegen Russland auf. Als Konsequenz aus der Ukraine-Krise setzt die Allianz auf das Prinzip Abschreckung: Truppenstandorte werden verstärkt, eine schnelle und schlagkräftige „Speerspitze“ der Schnellen Eingreiftruppe (Nato Response Force) mit 3000 bis 5000 Soldaten wird aufgebaut.

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Die 28 Nato-Staats- und Regierungschefs beschlossen in Wales den sogenannten Readyness Action Plan (sinngemäß Plan für höhere Bereitschaft). Er soll die Sicherheit der Partner in Ost- und Mitteleuropa stärken, die sich von Russland bedroht fühlen.

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Für Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Allianz auf dem zweitägigen Gipfel Geschlossenheit und Entschlossenheit gezeigt. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte: „Unsere Präsenz im Osten wird sichtbarer.“

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Am Strategiewechsel des Bündnisses wird kurzfristig auch die erste gemeinsam vereinbarte Waffenruhe zwischen der ukrainischen Regierung und den moskautreuen Rebellen in der Ostukraine nichts ändern.

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„Wir haben Hoffnung, sind aber nach Erfahrungen in der Vergangenheit auch skeptisch“, sagte US-Präsident Barack Obama stellvertretend für die Gipfelrunde. Und machte deutlich: „Große Länder können nicht einfach auf kleinen Ländern herumtrampeln.“

Nach monatelangen Kämpfen ordnete der ukrainische Präsident Petro Poroschenko nach einem Treffen der Konfliktparteien in der weißrussischen Hauptstadt Minsk eine Feuerpause von Freitag, 18.00 Uhr Ortszeit (17.00 Uhr MESZ) an.

In puncto Sanktionen gegen Russland wertete Merkel eine dauerhafte Waffenruhe als Chance, die Strafmaßnahmen wieder zurückzunehmen. Wenn der Prozess aber scheitere, stünde Sanktionen wenig im Wege: „Ich glaube, dass es sehr gut möglich sein wird, dazu eine Einigung zu finden.“

Cameron machte deutlich, die Sanktionen zeigten Wirkung und blieben in Kraft. „Der Rubel fällt, die Börsenkurse fallen und die Banken haben Probleme, Geldmittel zu bekommen“, sagte er. Frankreichs Präsident François Hollande ergänzte: „Und sie werden erst aufgehoben werden, wenn es Beweise für den Waffenstillstand und die politische Lösung gibt.“

Russland kritisierte die Ergebnisse des Nato-Gipfels als „Sieg der Falken“ in den USA. „Die Nato ist ein Ergebnis des Kalten Krieges und hat in Newport demonstriert, dass sie zum Wandel nicht fähig ist“, heißt es in einer vom Außenministerium in Moskau veröffentlichten Mitteilung.

Die Nato strebe unter dem Druck Washingtons nach einer militärischen Vormachtstellung - unter Verletzung aller Vereinbarungen. „Die Ukraine-Krise ist da nur ein Vorwand für das weitere Heranrücken der Nato an Russlands Grenzen“, betonte Moskau.

In Brüssel sollten die EU-Botschafter über schärfere Sanktionen beraten. Diese dürften Russland den Zugang zu EU-Finanzmärkten weiter erschweren. Es geht auch um ein Lieferverbot für militärisch nutzbare Produkte und Ölfördertechnik. Obama sagte, die USA seien bereit, mit der EU mitzuziehen.

Trotz des Kurswechsels der Allianz hält es die Bundeskanzlerin für wichtig, eine Rückkehr zur Zusammenarbeit mit Russland offen zu halten. Deshalb bleibe auch die Gründungsakte des Nato-Russland-Rates von 1997, der nach dem Kalten Krieg eine Partnerschaft der einstigen Gegner begründen sollte, in Kraft. „Wir haben extra gesagt, diese Sicherheitsarchitektur Europas, zu der die Nato-Russland-Akte gehört, zu der stehen wir, die respektieren wir“, sagte Merkel.

Als ein überzeugendes Konzept wollte Rasmussen die beschlossenen Pläne verstanden wissen:

- Zentrales Element ist eine „Speerspitze“ der schnellen Eingreiftruppe (Nato Response Force). Es geht um mehrere Tausend - vermutlich 3000 bis 5000 - Soldaten aller Waffengattungen, die im Krisenfall binnen zwei bis fünf Tagen in Einsatzbereitschaft versetzt werden können. Der britische Premierminister und Gipfel-Gastgeber David Cameron sagte, Großbritannien könne bis zu 3500 Soldaten für die „Speerspitze“ abstellen.

- Die Soldaten der Einheiten sollen nur mit leichtem Gepäck ausgerüstet sein. Fahrzeuge, Waffen, Munition und andere Ausrüstung werden den Plänen zufolge in möglichen Einsatzländern gelagert. Für die „Speerspitze“ wird eine Infrastruktur aufgebaut.

- Die „Speerspitze“ soll abwechselnd von mehreren Verbündeten gestellt werden. Das Bündnis will somit an den Regeln der Gründungsakte festhalten.

- Stützpunkte in Polen, Rumänien sowie den baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen werden erweitert. Die fünf Verbündeten konnten sich nicht mit dem Vorschlag durchsetzen, die Nato-Russland-Akte aufzukündigen und somit den Weg für die dauerhafte Stationierung starker Nato-Verbände in ihren Ländern zu ebnen, was das Abkommen ausdrücklich verbietet.

Die Verteidigungsausgaben der Nato haben seit 1990 stetig abgenommen. Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise werden Forderungen nach einer Trendumkehr lauter. 2013 wurde der von der Nato angestrebte Anteil von zwei Prozent nur von den USA (4,4), Großbritannien (2,4), Griechenland (2,3) und Estland (2,0 Prozent) erreicht. Deutschland kam auf 1,3 Prozent und will daran auch absehbar nichts ändern. Die Abschlusserklärung des Gipfels gibt kein verpflichtendes Ziel vor.

Im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) fanden sich auf dem Gipfel zehn Staaten zu einer Allianz zusammen. Darunter sind neben Deutschland die ständigen UN-Sicherheitsratsmitglieder USA, Großbritannien und Frankreich sowie Italien, Kanada, Australien, Dänemark, Polen und die Türkei.

„Wir wollen so schnell wie möglich handeln, aber auch wissen, dass wir es richtig tun“, gab Obama vor. Die USA werde den IS „herabsetzen und letztendlich zerstören - auf dieselbe Art, wie wir Al-Kaida verfolgt haben, wie wir die Al-Kaida-Verbündeten in Somalia verfolgt haben.“

Der nächste Nato-Gipfel findet 2016 in Polen statt.