Debatte über Grundeinkommen Scholz gegen Hartz-IV-Debatte - Grüne sehen Basta-Politik
Berlin (dpa) - Zwei Wochen nach dem Start der erneuten großen Koalition verschärft sich in der SPD ein Richtungsstreit um die Zukunft der Grundsicherung Hartz IV.
Der kommissarische SPD-Chef und Vizekanzler Olaf Scholz betonte, am Hartz-IV-Grundprinzip nicht rütteln zu wollen. „Auch Herr Müller und Herr Stegner stellen das Prinzip des Förderns und Forderns nicht infrage“, sagte der neue Bundesfinanzminister der Funke Mediengruppe mit Blick auf Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller und SPD-Vize Ralf Stegner. Natascha Kohnen, ebenfalls SPD-Vize, schlug einen Parteitag dazu vor.
Müller hatte als Hartz-Alternative ein „solidarisches Grundeinkommen“ von 1200 Euro im Monat für alle Bürger vorgeschlagen, die zu einer gemeinnützigen, sozialversicherungspflichtigen Arbeit bereit sind. Scholz verwies darauf, dass die Koalition für Langzeitarbeitslose einen neuartigen sozialen Arbeitsmarkt plane. Auch Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) betonte in Berlin, eine Debatte um die Zukunft der Grundsicherung sei das eine, er sei dafür offen, aber in diesem Rahmen auch im linken Lager diskutierte Ideen wie ein bedingungsloses Grundeinkommen lehne er strikt ab. „Eine Gesellschaft darf kein gestörtes Verhältnis zu ordentlicher Arbeit haben.“
Heil betonte, Ziel sei es, bis Sommer einen Gesetzentwurf vorzulegen, um Hunderttausende Langzeitarbeitslose wieder verstärkt in Arbeit zu bringen. Vier Milliarden Euro sollen in den nächsten vier Jahren dafür ausgegeben werden, unter anderem für bessere Qualifizierung, Vermittlung und Lohnkostenzuschüsse. Als langzeitarbeitslos gelten Menschen, die länger als ein Jahr ohne Arbeit sind, derzeit sind es rund 845 000 der insgesamt 2,458 Millionen Menschen ohne Arbeit in Deutschland. „Es ist besser, Arbeit zu finanzieren als Arbeitslosigkeit“, betonte Heil.
Es gebe zu viele Menschen, die nicht an der guten wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben und sich abgehängt fühlen. „Um diese Menschen müssen und werden wir uns kümmern“, sagte Heil. SPD-Vize Natascha Kohnen forderte eine grundlegende Debatte über die künftige Ausgestaltung des Sozialstaats. Sie plädierte dafür, dies auf einem eigenen, themenbezogenen SPD-Parteitag ausführlich zu diskutieren. „Wir müssen den Sozialstaat auf den Prüfstand stellen“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur in München. „Das ist gerade auch Aufgabe der SPD.“
Grünen-Chef Robert Habeck warf SPD-Chef Scholz Basta-Politik vor. „Kaum diskutiert die SPD mal über Hartz IV, will Olaf Scholz die Debatte im Keim ersticken“, sagte er der dpa. „Es gibt zu viel verdeckte Armut, zu viele Leute leben in prekären Arbeitsverhältnissen.“ Notwendig sei eine Regelung, die „Demütigung durch Ermutigung ersetzt und Anreize für Erwerbsarbeit schafft“.
Im Zuge der Arbeitsmarktreformen von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) waren Arbeitslosen- und Sozialhilfe zur neuen Grundsicherung (Hartz IV) zusammengelegt worden, wodurch gerade Menschen, die lange gearbeitet haben, bei längerer Arbeitslosigkeit einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt sind - die SPD-Linke hadert bis heute mit den Reformen und sieht sie als Mitgrund für schlechte Wahlergebnisse.
Im Februar bekamen 5,95 Millionen Menschen Hartz IV. Davon waren 4,26 Millionen erwerbsfähig. Rund zwei Drittel bekamen Hartz IV, ohne arbeitslos zu sein, etwa weil sie einem Minijob oder einer Maßnahme zur Rückkehr auf den Arbeitsmarkt nachgingen, Schule oder Hochschule besuchten oder wegen Krankheit arbeitsunfähig waren. Im Schnitt machen die Leistungen der Grundsicherung 954 Euro für eine Bedarfsgemeinschaft aus, zum Beispiel arbeitslose Eltern mit Kindern. Für Alleinstehende gilt der Regelsatz von 416 Euro im Monat.
Während der Koalitionspartner Union wie der kommissarische SPD-Chef Scholz gegen eine Hartz-IV-Debatte ist, betonte Linken-Chef Bernd Riexinger: „Spätestens mit der Aussage von Olaf Scholz, die SPD halte an Hartz IV fest, ist klar dass es der Parteispitze nie um Erneuerung ging. Mit einem Vizekanzler, der in die Fußstapfen von Agenda-Kanzler Schröder tritt, bleibt die SPD auf dem Kurs der sozialen Kälte“.
Scholz wolle „das Verarmungsprogramm als Drohkulisse und Disziplinierungsinstrument weiter nutzen, um die Ängste Beschäftigter vor sozialem Abstieg zu schüren“, meinte Riexinger. An dessen Stelle müsse eine sanktionsfreie Mindestsicherung von 1050 Euro treten.