Erzbischof von München Kardinal Marx: Grundeinkommen gefährdet Demokratie
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz lehnt die Idee ab, Berlins Regierender Bürgermeister kann sich ein „solidarisches Grundeinkommen“ vorstellen.
Berlin. Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München, lehnt die Einführung eines Grundeinkommens ab. Auf einer Veranstaltung der Süddeutschen Zeitung in Berlin bezeichnete Marx die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens als „Ende der Demokratie“. Während Befürworter der Idee darin vor allem eine Einkommenslösung für das Problem der Arbeitsplatzvernichtung durch Digitalisierung sehen, lehnt Marx dies ab: „Die Arbeit ist nicht irgendetwas. Es gehört zur Grundkonstitution des Menschseins, dass ich für mich und meine Familie etwas schaffe, das von Wert ist“, sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz.
Schon jetzt könne man sehen, welche politischen Folgen es habe, wenn Menschen sich nicht mehr gebraucht fühlen. Die Einführung eines Grundeinkommens sei vor diesem Hintergrund, so Marx, „demokratiegefährdend“. Die Debatte, die erst kürzlich durch einen Vorstoß von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD) neue Fahrt aufgenommen hatte, zeigt zunächst etwas ganz anderes: Wichtige gesellschaftliche Themen würden an eine künftige Bundesregierung stärker als bisher von außen herangetragen — denn das „Grundeinkommen“ hat bislang keiner der Jamaika-Sondierer prioritär auf die Agenda gesetzt.
Müller hatte Ende Oktober in einem Debatten-Beitrag für den Tagesspiegel ein „solidarisches Grundeinkommen“ für alle vorgeschlagen, die einen Dienst an der Gesellschaft leisten. Er halte nichts von „bedingungslosen Grundeinkommen“, das zudem von „Diskussionen um soziale Hängematten, Hartz-IV-Adel und die Vorstellung, dass sich Arbeiten nicht lohnt“ beherrscht werde. Sehr wohl könne er sich aber „ein solidarisches Grundeinkommen“ vorstellen: „Ich bin sicher, jedem von uns fällt einiges ein, was wegen klammer staatlicher Kassen heute nicht möglich ist: Sperrmüllbeseitigung, Säubern von Parks, Bepflanzen von Grünstreifen, Begleit- und Einkaufsdienste für Menschen mit Behinderung, Babysitting für Alleinerziehende, deren Arbeitszeiten nicht durch Kita-Öffnungszeiten abgedeckt werden, vielfältige ehrenamtliche Tätigkeiten wie in der Flüchtlingshilfe, als Lesepatin oder im Sportverein als Übungsleiter und und und.“
Während es praktisch keine Resonanz aus den Reihen der Jamaika-Sondierer gab, äußerten sich Experten. DGB-Chef Reiner Hoffmann begrüßte den Vorstoß Müllers unter Bedingungen: „Der Denkanstoß eines solidarischen Grundeinkommens geht in die richtige Richtung, wenn damit, wie von Müller angedacht, ein sozialer Arbeitsmarkt gefördert wird“, sagte der Wuppertaler. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, rechnete vor, wie hoch das von ihm begrüßte „solidarische Grundeinkommen“ sein müsse, damit sich die Arbeit für die Gemeinschaft für Hartz-IV-Empfänger lohne und dem Mindestlohn entspreche: Wenigstens 1200 Euro monatlich.
Eine ganz andere Variante mit 1500 Euro pro Monat schlug bereits Ende 2016 die Düsseldorfer CDU-Bundestagsabgeordnete Sylvia Pantel vor: Statt in der U3-Betreuung vor allem die Finanzierung von Einrichtungen und Betreuern sicherzustellen, könnte das Geld direkt an die Eltern gehen — pro Kind, drei Jahre lang, voll sozialabgaben- und rentenwirksam. „Durch die Möglichkeiten der Voraussetzungen bei freiwilligen Leistungen können wir Forderungen formulieren. Dazu gehört beispielsweise der Nachweis über Elternkurse oder Fortbildungen über Pflege, Ernährung, Entwicklung und Kindergesundheit als auch ausreichende deutsche Sprachkenntnisse der Eltern. Dieses Wissen wird nirgends sonst für alle zugänglich vermittelt“, so Pantel.
Damit würden ganz nebenbei Mütter aus problematischen Verhältnissen beruflich qualifiziert, da das Elterneinkommen ja zu einer Qualifikation führe, wie sie die Kommunen von Tagesmüttern erwarteten. Wer das Geld einsetzen wolle, um das Kind in eine Kita zu schicken, könne dies ebenfalls tun. Die Kosten des Modells entsprächen dem, was die Städte auch heute pro U3-Platz ausgäben, so Pantel, aber erstmals hätten Eltern wirkliche Wahlfreiheit.
Einer, der gegen (fast) alle Grundeinkommen-Überlegungen ist, ist der Sozial- und Armutsforscher Christoph Butterwegge, der im Februar als Bundespräsidentschafts-Kandidat der Linken antrat. Müllers „solidarisches Grundeinkommen“ nannte er im RBB „Etikettenschwindel“, es handele sich um „Ein-Euro-Job de Luxe“. Zudem glaube er nicht, dass durch Digitalisierung die Hälfte aller Arbeitsplätze verloren gehen werde: „Das hat man bei der Mechanisierung, der Elektronisierung, bei der Automatisierung und der Motorisierung gedacht.“ Man habe den Menschen Angst gemacht, das finde jetzt bei der Digitalisierung wieder statt. Es entstünden aber neue Arbeitsplätze, so der Armutsforscher, „und dann muss man eben durch Weiterbildungsmaßnahmen dafür sorgen, dass Menschen umgeschult werden. Dazu muss man Geld in die Hand nehmen.“
Linke Kritiker des Grundeinkommens fürchten, der Sozialstaat werde sich mit einem „Grundeinkommen“ für alle gleichzeitig von allen Individualleistungen verabschieden, nach dem Motto: Du hast 1000 Euro, sieh zu, wie du klar kommst. „Selbst ein reiches Land wie die Bundesrepublik kann sich nicht beides zugleich leisten, die Sozialversicherung mit einem Beitragsvolumen von gut 600 Milliarden Euro und außerdem ein Grundeinkommen, das die öffentlichen Haushalte erheblich mehr Geld kosten würde, als Bund, Länder und Gemeinden heute an Steuern einnehmen“, warnte Butterwegge jüngst in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung.
Rechte Kritiker des Grundeinkommens rechnen eher damit, dass der leistungslose Geldbezug dazu führe, dass keiner mehr Lust zur Arbeit verspüre. Dass das offensichtlich nicht der Fall ist, kann der Berliner Michael Bohmeyer erzählen, der die Initiative „www.mein-grundeinkommen.de“ gestartet hat. 80 000 Menschen haben bisher soviel Geld gespendet, dass die Initiative davon 124 Grundeinkommen von 1000 Euro für jeweils ein Jahr verlosen konnte. Obwohl es keinerlei Bedingungen gibt, gibt — laut den Selbstauskünften auf der Internetseite des Projekts — nur eine Minderheit das zusätzliche Geld für Jux und Dollerei aus.