Ukraine Scholz setzt auf Lieferung von Artillerie und Flugabwehr
Berlin · Wird Deutschland weitere Waffen an die Ukraine liefern? Und wenn ja, welche? Die Bundesregierung betont, es werde keinen deutschen Alleingang in Bezug auf Kampfpanzer geben. Scholz verspricht aber trotzdem etwas.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) setzt bei der militärischen Unterstützung der Ukraine weiter auf Artillerie und die Flugabwehr. Auf die Frage nach einer von der ukrainischen Regierung geforderten Bereitstellung westlicher Kampfpanzer wich Scholz am Montag in Berlin aus. Es „bleibt es bei der Haltung, die die deutsche Regierung seit Anfang an eingenommen hat und die auch für die Zukunft unserer Haltung sein wird, nämlich dass es keine deutschen Alleingänge gibt“, sagte Scholz.
Deutschland habe die Ukraine sehr umfassend und zusammen mit Verbündeten unterstützt. „Wir haben auch sehr effiziente Waffen geliefert, die gerade jetzt in dem gegenwärtigen Gefecht den Unterschied machen“, sagte Scholz, der mit dem israelischen Regierungschef Jair Lapid vor die Presse getreten war. Scholz nannte den Flugabwehrpanzer Gepard, die Panzerhaubitze 2000, Mehrfachraketenwerfer und das Flugabwehrsystem Iris-T.
Lieferung nur in Absprache mit Verbündeten
Die Bundesregierung hat betont, dass sie über eine mögliche Lieferung etwa von Kampfpanzern an die Ukraine nur in enger Abstimmung mit den Verbündeten entscheiden würde. „Der Bundeskanzler (Olaf Scholz/SPD) hat ja mehrfach gesagt, es wird keine Alleingänge, keine deutschen Alleingänge in dieser Sache geben“, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am Montag in Berlin.
Am Wochenende waren angesichts eines Teilrückzuges russischer Truppen aus besetztem ukrainischen Gebiet erneut Forderungen nach Lieferungen von Kampfpanzern vom Typ Leopard 2 aus Deutschland laut geworden.
Hoffmann sagte, es werde von deutscher Seite natürlich akzeptiert, wenn die Ukraine ihren Bedarf formuliere. Man gehe davon aus, dass dieser Bedarf militärisch begründet sein werde. Die Bundesregierung sei mit ihren Verbündeten über die militärische Unterstützung der Ukraine permanent im Gespräch. Es stehe zudem „außer Frage, dass Deutschland die Ukraine weiterhin militärisch auf sehr effektive und wirksame Weise unterstützen wird, in enger Absprache mit den Verbündeten“. Details könne sie nicht nennen.
Lambrecht sieht kein Umdenken bei Lieferung von Kampfpanzern
Auch Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) äußerte sich distanziert zur Forderung der ukrainischen Regierung nach einer Lieferung westlicher Kampfpanzer. Bei einem Treffen der sogenannten Ukraine-Kontaktgruppe in der vergangenen Woche in Ramstein habe sie ihren US-Kollegen Lloyd Austin darauf angesprochen und dabei keinen Kurswechsel festgestellt, wie sie am Montag in Berlin in einer Diskussionsrunde der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) deutlich machte. „Ich habe da zumindest diese Wahrnehmung nicht gehabt, dass es da ein Umdenken in den USA gibt dazu“, sagte Lambrecht.
„Noch kein Land hat Schützen- oder Kampfpanzer westlicher Bauart geliefert, und wir haben uns darauf verständigt, auch mit unseren Partnern, dass wir da keine deutschen Alleingänge machen“, sagte Lambrecht zuvor bei der Veranstaltung. Sie sprach von einem „ständigen Austausch“, bei dem Deutschland an Vereinbarungen festhalte.
FDP und Grüne dringen auf Lieferung schwerer Waffen
In der Koalition dringen vor allem Grüne und FDP auf die Lieferung schwerer Waffen. „Alle in der Regierung wissen indes, dass noch mehr möglich wäre“, sagte Grünen-Chef Omid Nouripour der „Augsburger Allgemeinen“. „Da sollte nicht nur im Ringtausch, sondern wo möglich auch direkt aus den Beständen von Bundeswehr und Industrie geliefert werden.“
Beim Ringtausch rüstet Deutschland osteuropäische Nato-Partner mit Leopard-Kampfpanzern und Schützenpanzern Marder aus, die dafür ältere Panzer sowjetischer Bauart an die Ukraine abgeben.
Lindner: Mehr Hilfe für die Ukraine prüfen
Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner plädiert für eine zusätzliche Unterstützung Deutschlands für die Verteidigung der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg. „Vor der Tapferkeit der Ukrainerinnen und Ukrainer muss man salutieren. Wir müssen jeden Tag prüfen, ob wir noch mehr tun können, um ihnen in diesem Krieg beizustehen“, schrieb Lindner am Montag auf Twitter. Er bekräftigte: „Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen.“
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, appellierte an Bundeskanzler Olaf Scholz und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (beide SPD), ihre Zurückhaltung bei Kampfpanzer-Lieferungen aus Deutschland an die Ukraine aufzugeben. „Ich wünschte mir, dass der Bundeskanzler seine Linie ändert. Ich wünschte mir, dass die Verteidigungsministerin ihre Linie ändert“, sagte die FDP-Politikerin am Montag im ARD-„Morgenmagazin“. Erforderlich sei die Lieferung des Schützenpanzers Marder und auch des Kampfpanzers Leopard 2. „Das ist unglaublich wichtig und sollte sofort passieren“, meinte Strack-Zimmerman.
Der FDP-Verteidigungsexperte Marcus Faber forderte die direkte Lieferung von Marder-Schützenpanzern. „Mit unseren Panzern würde die Befreiung schneller vorankommen, und weniger Ukrainer müssten sterben“, sagte er der „Bild“-Zeitung. Auch der FDP-Politiker Johannes Vogel forderte eine erweiterte und verstärkte Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine. „Wir sollten noch mehr schwere Waffen auch abseits des zähen Ringtausches direkt an die Ukraine liefern. Das schließt insbesondere die Panzer Marder und Fuchs ein“, sagte der Parteivize und Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion am Montag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
Bisher hält sich vor allem Bundeskanzler Scholz bei direkten Lieferungen zurück - mit dem Hinweis darauf, dass auch die großen Nato-Partner keine Panzer direkt liefern und Deutschland keine Alleingänge unternehmen will. Auch Nouripour sagte: „Wir müssen uns im Verbund mit unseren Alliierten bewegen. Das ist wichtiger als die Debatte um einzelne Waffensysteme.“
US-Botschafterin: Erwartungen an Deutschland sind höher
Die US-Botschafterin in Deutschland spricht sich aber vorsichtig für mehr deutsche Unterstützung für Kiew aus. Sie begrüße und bewundere, was die Deutschen für die Ukraine täten, sagte Amy Gutmann am Sonntagabend im ZDF. „Dennoch: Meine Erwartungen sind noch höher an Deutschland.“ Deutschland wolle hier eine größere Führungsrolle einnehmen. „Wir hoffen und erwarten, dass Deutschland das auch erfüllen wird.“ Und: „Wir müssen alles machen, wozu wir in der Lage sind“, sagte sie, vermied aber auf mehrere Nachfragen eine konkrete Festlegung, ob Deutschland mehr schwere Waffen liefern soll.
SPD-Chef Lars Klingbeil verschloss sich dem zumindest nicht und betonte die Notwendigkeit internationaler Abstimmung. „Natürlich müssen wir im westlichen Bündnis auch bewerten: Muss es jetzt weitere Waffenlieferungen geben? Und das muss schnell passieren“, sagte er am Sonntag in der ARD. „Das muss jetzt unter den Staats- und Regierungschefs besprochen werden angesichts der Forderungen aus der Ukraine, angesichts auch der Erfolge, die die Ukraine gerade hat.“
SPD-Chefin Saskia Esken schließt die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine nicht aus, pocht aber auf internationale Abstimmung. „Alleingänge sind ausgeschlossen und das soll auch so bleiben“, sagte sie am Montag in Braunschweig. Die Unterstützung für die Ukraine habe sich in den vergangenen Monaten immer entlang der militärischen Entwicklung verändert. „Die Waffenlieferungen der ersten Wochen waren von einer anderen Qualität als die der letzten Wochen. Insofern gibt es da eine stete Entwicklung“, sagte sie.
Nouripour sagte: „Wir müssen den Bedarf der Ukraine nach Fähigkeiten in den Mittelpunkt stellen. Gerade jetzt, bevor der Winter kommt, müssen wir die Ukraine dabei unterstützen, in diesem Jahr noch so viel wie möglich von ihrem eigenen Land zu befreien.“ Er ließ offen, ob dies etwa Leopard-Kampfpanzer beinhalten sollte. Kiew hat sowohl um Leopard-2 gebeten als auch um Schützenpanzer Marder, die die deutsche Rüstungsindustrie sofort liefern könnte; das Kanzleramt hat dafür aber bisher kein grünes Licht gegeben.
Verteidigungsministerin: Einsatzbereitschaft fraglich
Bei Lieferungen aus Beständen der Bundeswehr sträubt sich Verteidigungsministerin Lambrecht. Im Onlinemagazin Politico wies sie auf die Nato-Übereinkunft zur Verstärkung der Ostflanke hin, die Deutschland sehr ernst nehme. Aber: „Ich muss in der Lage sein, Material nach Litauen zu verlegen. Und ich sag es noch mal: Ich habe viel Gerät auf dem Papier - aber wenn ich mir die Einsatzbereitschaft anschaue, dann sieht die ganz anders aus.“ Dies liege an der früheren Unterfinanzierung der Bundeswehr. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte es jüngst jedoch als wichtiger eingestuft, die Ukraine zu unterstützen, als nach Plan gefüllte Waffenlager in Nato-Staaten zu haben.
Auch die Union macht wieder mehr Druck. „Die aktuelle Entwicklung in der Ukraine zeigt, mit den nötigen Mitteln kann Putins Invasionsdrang erfolgreich zurückgeschlagen werden“, sagte der verteidigungspolitische Fraktionssprecher Florian Hahn (CSU) den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Berlin muss endlich seine Zurückhaltung aufgeben und mehr Waffen liefern.“ Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sagte „Bild“: „Dazu zählen insbesondere auch Panzer aus den Beständen der Bundeswehr. Nirgendwo sonst werden sie gegenwärtig zur Wiederherstellung des Friedens gebraucht.“
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