Zehn Jahre Haft drohen Schülerin Safia wegen IS-Attacke auf Polizisten vor Gericht
Celle (dpa) - Acht Monate nach der Messerattacke einer radikalisierten Schülerin auf einen Polizisten in Hannover hat der Prozess gegen die 16-Jährige begonnen. Die Bundesanwaltschaft wirft der Deutsch-Marokkanerin Safia S. versuchten Mord und Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung vor.
Die Tat sei eine „Märtyreroperation“ für die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gewesen. Ermittler werten den Angriff vom Februar als die erste vom IS in Deutschland in Auftrag gegebene Terrortat. Zum Prozess vor dem Oberlandesgericht Celle wurden massive Sicherheitsvorkehrungen angeordnet.
Auch politisch sorgt der Fall in Niedersachsen für Wirbel. Die Behörden konnten den Angriff nicht verhindern, obwohl die Radikalisierung der IS-Sympathisantin bekannt war. Kritischen Fragen geht ein Untersuchungsausschuss des Landtags in Hannover nach.
Noch vor Verlesung der Anklage wird die Öffentlichkeit von dem Verfahren ausgeschlossen. Die Jugendliche und ihre Privatsphäre müssten geschützt werden, was schwerer wiege als das angesichts des islamistischen Terrors große öffentliche Interesse, begründet der Vorsitzende Richter Frank Rosenow den Schritt.
Safia erscheint in einem Pulloverkleid und mit Kopftuch vor Gericht, später darf sich ihre Mutter neben sie auf die Anklagebank setzen. Rosenows Angebot, sie angesichts ihres jungen Alters per Du anzusprechen, nimmt die 16-Jährige an.
Der 34 Jahre alte Polizist erlitt bei dem Angriff bei einer Personenkontrolle im Hauptbahnhof von Hannover eine lebensbedrohliche Stichwunde am Hals. Sein Kollege überwältigte die Gymnasiastin. Der Beamte ist Nebenkläger in dem Prozess, zu Beginn war aber lediglich sein Anwalt anwesend. In einem Brief aus der Untersuchungshaft hatte Safia sich bei dem Polizisten entschuldigt. Ihr drohen maximal zehn Jahre Haft.
Schon als Grundschülerin hatte Safia Kontakt zu dem Salafistenprediger Pierre Vogel. Vollends auf den radikalen Weg geriet sie spätestens am 22. Januar 2016, als sie von Hannover nach Istanbul flog. Ihr Reiseziel: Der IS in Syrien, wohin kurz zuvor ihr älterer Bruder aufgebrochen war. Während der 18-Jährige in türkischer Haft landete, wurde Safia von ihrer Mutter aus Istanbul zurückgeholt.
In Istanbul, so die Bundesanwaltschaft, nahm die Schülerin Kontakt mit IS-Mitgliedern auf und erhielt den Auftrag, eine „Märtyrertat“ in Deutschland zu verüben. Über einen Internet-Nachrichtendienst habe sie Kontakt zu IS-Mitgliedern gehalten und am Tag vor der Tat ein Bekennervideo übermittelt. Auf dem Bahnhof provozierte sie dann eine Kontrolle von Bundespolizisten und stach mit einem Gemüsemesser zu.
Zwar kassierten die Fahnder Safias Handys bei ihrer Rückkehr ein, die auf Arabisch verfassten Anweisungen des IS zu der Messerattacke übersetzten sie aber erst Anfang März, als es schon zu spät war. Für Empörung nicht nur bei der Opposition in Niedersachsen sorgte nicht alleine diese Polizeipanne. Auch der Umstand, dass Safia trotz Hinweisen an die Behörden von ihrer Mutter, Großmutter sowie der Schule nicht gestoppt wurde, führte zu kritischen Nachfragen.
In einem Interview beschrieb der Vater Safia als „liebes Mädchen“ und als gute Schülerin. „Ich hätte ihr das nie zugetraut. Sie hat nie Gewalt gezeigt. Das muss irgendwo ein Aufruf aus dem Internet sein, da bin ich mir sicher. Sonst würde sie sowas nicht machen. Ich weiß nicht, was sie ihr versprochen haben.“ Die Mutter erzog ihre Kinder laut Vater streng religiös, die Eltern trennten sich schon früh.
In Celle mitangeklagt ist der 20-jährige Deutsch-Syrer Mohamad Hasan K., der von den Plänen des Mädchens gewusst haben soll. Gegen ihn ermittelt die Bundesanwaltschaft auch, weil er mit den angeblichen Terrorplänen zu tun haben könnte, die zur Absage des Fußball-Länderspiels in Hannover im vergangenen November führten. Für Wirbel sorgte auch in seinem Fall die Polizeiarbeit: Vor dem Prozess war es dem 20-Jährigen gelungen, sich ins Ausland abzusetzen. Er wurde in Griechenland gefasst und erst am Dienstag ausgeliefert.