Politik So wird die neue Arbeitswelt zum Wahlkampfthema

Berlin. Knapp fünf Monate vor der Bundestagswahl konkretisieren Wirtschaft und Gewerkschaften ihre Forderungen an die Politik. Beide Lager treibt vor allem die Arbeitswelt der Zukunft um — freilich aus sehr unterschiedlichem Blickwinkel.

Zur „Industrie 4.0“ gehört zwingend auch ein „Sozialstaat 4.0“, fordert die IG Metall.

Foto: Friso Gentsch

Der Präsident des Handelsverbandes Deutschland (HDE), Josef Sanktjohanser, sieht in der Fachkräftesicherung sowie in der Digitalisierung „die Kernthemen“ für den Mittelstand im Land. Gemeinsam mit seinem Amtskollegen vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), Hans Peter Wollseifer, machte er in Berlin deutlich, dass hier noch „erheblicher Aufholbedarf“ bestehe.

Eine flächendeckende digitale Infrastruktur mit leistungsstarken Breitbandnetzen sei Voraussetzung für einen erfolgreichen Mittelstand, heißt in einem gemeinsamen Forderungskatalog seiner Lobby-Verbände. Zwar hat die Bundesregierung im Rahmen ihrer „digitalen Agenda“ das Ziel proklamiert, bis 2018 flächendeckend ein schnelles Internet mit mindestens 50 Megabit pro Sekunde zu verwirklichen.

Aber das sei bestenfalls „ein Etappenziel“, meinte Sanktjohanser. Denn der Standard werde schon bald bei 100 Megabit liegen. Klein- und Mittelstädte sowie der ländliche Raum lägen beim Breitbandausbau deutlich zurück und müssten deshalb Vorrang haben.

Auch für die Beschäftigten ist die Arbeitswelt der Zukunft ein Mega-Thema. Aber unter ganz anderen Aspekten. Nach einer vorgestellten Umfrage der IG Metall unter rund 680.000 Arbeitnehmern gehört für die übergroße Mehrheit zur „Industrie 4.0“ zwingend auch ein „Sozialstaat 4.0“. 93 Prozent der Befragten sorgen sich um ihren Arbeitsplatz und fragen sich, welchen Platz sie in der neuen Arbeitswelt einnehmen werden. Ihre Forderung an die Politik lautet daher, sich für Sicherheit und berufliche Perspektiven stark zu machen.

83 Prozent sagen, dass der Erhalt der Qualifikation Vorrang vor der Vermittlung in einen minderen Job haben müsse und deshalb auch das Arbeitslosengeld verlängert gehört — ganz so wie es sich die SPD für den Wahlkampf auf die Fahne geschrieben hat. Rund 96 Prozent der Beschäftigten sprechen sich trotz der digitalen Revolution für die Beibehaltung der geltenden Arbeitszeitregelungen aus. Das sei „eine klare Ansage an die Politik“, meinte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann.

Spätestens hier tickt die Wirtschaft naturgemäß ganz anders. Im Forderungskatalog des Mittelstandes werden Bestrebungen der Bundesregierung für neue Öffnungsklauseln beim Arbeitszeitrecht begrüßt. Verlangt wird dabei ausdrücklich mehr Tempo. Auch die Arbeitgeberverbände BDA und Gesamtmetall drängen schon länger darauf, Höchstgrenzen und feste Ruhezeiten im Arbeitszeitgesetz zu lockern. Bleibt noch das Problem der Fachkräftesicherung. „Unsere Betriebe haben die Auftragsbücher voll, können sie aber nicht abarbeiten“, klagte ZDH-Präsident Wollseifer. Die Politik tue der Jugend nichts Gutes, wenn diese nur einseitig in Richtung Abitur und Studium gelenkt werde.

Die Verbände des Mittelstands pochen auf eine verpflichtende Berufsorientierung auch in den Gymnasien. Berufsschulen müssten ebenfalls zügig mit einer zeitgemäßen digitalen Infrastruktur ausgestattet werden. Darüber hinaus, so Wollseifer, müssten Beschäftigungsreserven auch durch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf erschlossen werden. Immerhin 92 Prozent der Beschäftigten denken hier übrigens nach Angaben der IG Metall genauso.