Sozialverband: So viel Arme in Deutschland wie noch nie
Berlin (dpa) - In Deutschland gibt es laut Paritätischem Wohlfahrtsverband 12,5 Millionen Arme - so viele wie nie seit der Wiedervereinigung. Zudem vergrößert sich der Abstand zwischen Arm und Reich immer weiter, sowohl zwischen einzelnen Regionen als auch den Einkommensgruppen.
Dies sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider in Berlin. Nach dem Bericht „Die zerklüftete Republik“ sind von Armut vor allem Alleinerziehende und Rentner betroffen, aber auch viele Minderjährige. Den höchsten Anteil armer Menschen haben Bremen, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern.
Die Armut kletterte laut dem Bericht von 15 Prozent im Jahr 2012 binnen eines Jahres auf 15,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Als arm stuft der Verband Menschen in Haushalten mit weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens ein. Betroffen ist man als Single damit mit 892 Euro und als Familie mit zwei Kindern mit 1873 Euro im Monat.
„Noch nie war die Armut so hoch und noch nie war die regionale Zerrissenheit so tief wie heute“, sagte Schneider. Der Bundesregierung warf Schneider vor, die Lage zu beschönigen. Tatsächlich sei die Armut lediglich in Sachsen-Anhalt und in Brandenburg leicht zurückgegangen. Nötig seien unter anderem eine deutliche Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze und ein massiver Ausbau öffentlicher Beschäftigung.
Ulrike Mascher, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, sagte: „Angesichts der guten wirtschaftlichen Lage ist es paradox, dass sich Armut für bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht nur verfestigt, sondern der Strudel sogar noch weiter abwärts zieht.“
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) machte eine andere Rechnung auf. Die oberen 25 Prozent der Steuerpflichtigen zahlten hierzulande mehr als drei Viertel der Lohn- und Einkommensteuer. Dies komme einer „Umverteilung zugunsten ärmerer Bevölkerungsgruppen“ gleich, erklärte der Verband. Im Unterschied zu vielen anderen Ländern liege die Einkommensungleichheit in Deutschland sogar niedriger als zur Mitte des vergangenen Jahrzehnts.
Der Präsident der Volkssolidarität, Wolfram Friedersdorff, meinte hingegen: „Der deutliche Anstieg der Armut bei Alleinerziehenden und bei Rentnern ist eine klare Warnung an die Politik und Aufforderung, endlich zu handeln.“ Der Grünen-Sozialpolitiker Wolfgang Strengmann-Kuhn foderte: „Die Bundesregierung muss jetzt handeln, um die soziale Sicherung armutsfest zu machen.“
Fällige Steuern müssten auch tatsächlich effektiv eingetrieben werden, sagte der Gießener Politikwissenschaftler und Armutsforscher Ernst-Ulrich Huster der Deutschen Presse-Agentur. Dann könne das Vermögen in Deutschland auch gerechter verteilt werden.
Annelie Buntenbach, DGB-Vorstandsmitglied, sagte der dpa: „Wer Armut bekämpfen will, muss vor allem den Arbeitsmarkt aufräumen.“ Der gesetzliche Mindestlohn dürfe nicht mit dem Argument der Vermeidung von Bürokratie unterhöhlt werden. „Prekäre Arbeit wie Leiharbeit und der Missbrauch von Werkverträgen muss zurückgedrängt werden.“