Wartezeit und Numerus Clausus Studienplatzvergabe für Medizin zum Teil verfassungswidrig
Karlsruhe (dpa) - Das Verfahren zur Vergabe von Studienplätzen im Fach Humanmedizin ist teilweise verfassungswidrig und muss bis Ende 2019 neu geregelt werden.
Mit dem aktuellen Verfahren werde der grundrechtliche Anspruch der Studienplatzbewerber auf gleiche Teilhabe am staatlichen Studienangebot verletzt, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil am Dienstag in Karlsruhe. Grundsätzlich sei die Vergabe nach den besten Abiturnoten, nach Wartezeit und nach einer Auswahl durch die Universitäten aber mit dem Grundgesetz zu vereinbaren. Verbände und Politik reagierten überwiegend positiv auf die Entscheidung. (Az. 1 BvL 3/14 und 4/14)
Bund und Länder müssen nach dem Urteil bis zum 31. Dezember 2019 verschiedene Mängel in ihren Gesetzen beheben. So muss bei der Vergabe nach Wartesemestern der Zeitraum begrenzt werden. Aktuell sind etwa 15 Halbjahre nötig, um zum Zuge zu kommen. Der Erste Senat unter Vorsitz von Ferdinand Kirchhof machte in seinem Urteil keine Vorgabe, deutete aber an, dass vier Jahre eine Grenze sein könnten.
Auch dürfe der Zwang zur Festlegung auf bis zu sechs gewünschte Studienorte in der Auswahl nach Abiturnote nicht dazu führen, dass ein Bewerber, der an einer anderen Hochschule eigentlich erfolgreich wäre, am Ende leer ausgeht, etwa weil an seinen genannten Unis der Andrang in einem Jahr besonders hoch ist. Im Auswahlverfahren bei den Hochschulen müsse eine Vergleichbarkeit der Abiturnoten über Landesgrenzen hinweg sichergestellt werden. Außerdem müsse es ein standardisiertes und strukturiertes Verfahren geben. Die Abiturnote dürfe dabei nicht das einzige Kriterium sein. Dabei könne etwa die besondere persönliche Qualifikation für den Arztberuf berücksichtigt werden.
Auf jeden Studienplatz für Humanmedizin in Deutschland kommen nach den Zahlen für das aktuelle Wintersemester fast fünf Bewerber. Die Verteilung läuft zu 20 Prozent über die besten Schulnoten, zu 20 Prozent über Wartezeit und zu 60 Prozent über ein Auswahlverfahren direkt bei den Hochschulen. Vorab wird schon ein Teil der Studienplätze nach speziellen Kriterien vergeben - etwa Härtefällen oder dem Bedarf des öffentlichen Dienstes an Medizinern.
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hatte zwei Fälle von Bewerbern aus Schleswig-Holstein und Hamburg in Karlsruhe vorgelegt, die auf ihre Bewerbung hin keinen Studienplatz für Humanmedizin bekommen hatten.
Kläger Lukas Jäger, der 2010 in Hamburg Abitur gemacht hatte und inzwischen einen Studienplatz bekommen hat, äußerte sich nach der Verkündung zufrieden. Wenn künftig bei der Auswahl der Universitäten neben der Abiturnote weitere Kriterien eine Rolle spielen, „werden wir hoffentlich eine Menge guter zukünftiger Ärzte haben.“ Er sei stolz, diesen Erfolg erreicht zu haben. „Wer ein guter Arzt ist, bestimmt nicht alleine die Abiturnote.“
Ärztekammer-Präsident Frank Ulrich Montgomery nannte das Urteil „das richtige Signal zur richtigen Zeit“. Bei der überfälligen Reform des Medizinstudiums müsse nun Tempo gemacht werden. Der Vorsitzende des Marburger Bundes, Rudolf Henke, kritisierte, dass viele geeignete Bewerber an der Aufnahme ihres Wunschstudiums gehindert würden, weil die Zahl der Medizinstudienplätze auf dem Niveau von 1990 verharre.
Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Horst Hippler, nannte eine Begrenzung der Wartezeit vernünftig, um eine transparente und realistische Lebensplanung für Studienbewerber zu ermöglichen.
Die Bundestagsabgeordnete Petra Sitte (Linke) erklärte bei Twitter, ihre Fraktion habe Zulassungsbeschränkungen und Auswahlgespräche immer kritisiert. Der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz beklagte: „Den Zugang zu Studienplätzen über einen Notendurchschnitt zu regulieren, ist willkürlich und zynisch.“ SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil forderte ein bundesweit einheitliches Zulassungsverfahren: „Die Abiturnote bleibt ein wichtiges Indiz, aber in Zukunft muss das individuelle Talent und auch eine passende Vorbildung wichtiger werden.“
Bundesbildungsministerin Johanna Wanka sprach sie für eine zügige Reform aus. Der Gesetzgeber sei nun gefordert, das Verfahren für die Zulassung zum Medizinstudium im Licht der Vorgaben aus dem Urteil neu zu regeln, sagte die CDU-Politikerin der „Rheinischen Post“.