Meinung Numerus Clausus - In der NC-Falle
Die Debatte um den Numerus Clausus, die Karlsruhe mit seiner gestrigen Entscheidung auch grundsätzlich angestoßen hat, ist eng verknüpft mit der Debatte über Wert und Qualität des Abiturs. Die Schüler werden von Generation zu Generation klüger und kompetenter, sie entwickeln neue und andere Fähigkeiten.
Jedenfalls lassen Expertisen wie die Pisa-Studie keinen Niveauverlust erkennen. Da also immer mehr Schüler die allgemeine Hochschulreife erlangen, ist der „NC“ für viele Studiengänge eingeführt worden, und er wurde wie im Falle der Humanmedizin durch zusätzliche Zugangsmöglichkeiten ergänzt. Nur: Wer konkret Medizin studieren will, braucht nicht nur ein Spitzen-Abitur, sondern reichlich Glück im Bewerbungsverfahren und jede Menge Zeit für jede Menge Wartesemester.
Denn die Studienplätze reichen hinten und vorne nicht aus. Mit einem „NC“ wird der Mangel vor allem mehr oder minder geschickt verwaltet. Das ist das zentrale Ärgernis, auf das das Karlsruher Urteil indirekt hinweist. Ein Land, das gewollt immer mehr Abiturienten hervorbringt, das die Bildung als eines seiner wichtigsten Ressourcen ansieht, steht auch in der Pflicht, an seinen Hochschulen die entsprechenden Kapazitäten vorzuhalten. Fehlen diese, wird zuerst beim Auswahlprozess angesetzt — die Abiturnote als Hauptkriterium für den Zugang zu einem Studiengang zu nehmen, ist nämlich bequem. Echtes Interesse und Engagement, das sich etwa durch ehramtliche Arbeit bei Rettungsdiensten zeigt, bleiben dabei außen vor.
Weil es aber in der Auswahlpraxis oft anders ist, bleibt manch begabter Schulabgänger in der Numerus- Clausus-Falle stecken. Zwar haben die Universitäten die Möglichkeiten, ihre Studierenden ebenfalls durch Gespräche auszuwählen und ihre Motivationslage zu prüfen, aber solche Verfahren sind oft komplex, aufwendig und teuer. Und Geld fehlt ohnehin immer.
Hinzu kommt, dass das Gerechtigkeitsdefizit über den „NC“ schlichtweg fortgeschrieben wird. Schon das deutsche Schulsystem fördert bekanntlich vor allem jene, die nicht aus bildungsfernen Familien kommen, in denen also auf Leistungen und Noten geachtet wird. Und es bestraft die Schüler, die nicht auf die Hilfe ihrer Eltern zählen können. Der „NC“ trägt zur Undurchlässigkeit des Systems auf einer anderen Ebene bei. Das gehört zur Wahrheit dazu, wenn man über Chancengleichheit im Studium diskutiert.