Syrische Opposition: Massaker droht
Damaskus/Istanbul/New York (dpa) - Syriens Opposition fürchtet ein Massaker in ihrer Hochburg Daraa. Sicherheitskräfte von Präsident Baschar al-Asssad sind dort mit Panzern und Scharfschützen im Einsatz.
Aus mehreren Städten berichteten die Aufständischen von neuen Festnahmen.
Seit Beginn der Proteste vor sechs Wochen kamen möglicherweise mehr als 400 Menschen ums Leben, darunter auch Soldaten. Angesichts der blutigen Unruhen verlassen immer mehr Ausländer das Land.
Die Bundesregierung forderte die syrische Führung auf, umgehend die Gewalt gegen friedliche Demonstranten zu stoppen. Sonst seien Sanktionen unvermeidbar, sagte Außenminister Guido Westerwelle in Berlin. „Wir werden unseren Beitrag leisten, dass auch der UN-Sicherheitsrat klare Positionen einnimmt.“
Das höchste UN-Gremium ließ sich am Mittwochabend über die Situation in Syrien und die Bedeutung der Proteste für die Nahostregion unterrichten. Eine mögliche Einigung auf eine gemeinsame Erklärung war zunächst jedoch nicht abzusehen. Deutschland und die anderen drei Europäer im Rat wollten eine Verurteilung der syrischen Regierung wegen ihres gewaltsamen Vorgehens erreichen. Die Vetomächte Russland und China sowie der Libanon standen der Erklärung aber sehr skeptisch gegenüber.
Bei der Europäischen Union sind in der Debatte um Sanktionen „alle Optionen auf dem Tisch“, sagte der Sprecher der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton am Mittwoch in Brüssel. Dem Vernehmen nach geht es um Reisebeschränkungen für Verantwortliche des Regimes oder das Einfrieren von Vermögenswerten.
Unterdessen nimmt die Zahl der Ausländer zu, die wegen der Lage in Syrien das Land verlassen. Augenzeugen in Damaskus sagten am Mittwoch, unter den Ausreisenden seien auch Angehörige von Botschaftsmitarbeitern sowie Vertreter verschiedener Institutionen. Das Goethe-Institut in Damaskus wird von diesem Freitag an auf unbestimmte Zeit geschlossen. Das Auswärtige Amt hatte am Dienstag allen in Syrien lebenden Deutschen geraten, auszureisen.
Auf den Websites der Assad-Gegner wurden am Mittwoch Aufnahmen veröffentlicht, auf denen Dutzende Sattelschlepper mit Panzern zu sehen sind, die auf einer Schnellstraße fahren. Die Oppositionellen erklärten, es handele sich um Verstärkung für die Truppen, die am Osterwochenende in die Stadt Daraa eingedrungen waren. Oppositionelle berichteten, Verletzte mit Schusswunden würden inzwischen unter primitiven Bedingungen in Häusern versorgt, da ihnen der Zugang zum Krankenhaus verwehrt werde.
Die staatliche Nachrichtenagentur Sana meldete, am Mittwoch seien sechs Angehörige der Sicherheitskräfte beigesetzt worden, die von „bewaffneten extremistischen Terrorbanden“ getötet worden seien. Am Vortag seien im Tischrin-Militärkrankenhaus nördlich von Damaskus bereits die Leichen von 15 „Märtyrern“ ihren Angehörigen übergeben worden.
Teile der Protestbewegung in Syrien bemühen sich derweil um eine Verständigung mit den Einheiten der Streitkräfte, die nicht als verlängerter Arm der Führungsriege um Präsident Assad gelten.
Ein Bewohner der von den Sicherheitskräften belagerten Ortschaft Al-Moadhamija in der Nähe von Damaskus sagten der Nachrichtenagentur dpa am Dienstagabend am Telefon, die Einwohner von Al-Moadhamija hätten das Gespräch mit den Kommandeuren der Armee gesucht. Sie wollten ein Ende der Belagerung des Ortes erwirken, „der einige seiner Söhne verloren hat, die in den vergangenen Wochen an den friedlichen Demonstrationen teilgenommen hatten“.
„Denn die Lage hier ist sehr schwierig“, fügte er hinzu. Jeder Mensch, der die Stadt betreten oder verlassen wolle, werde durchsucht. In den vergangenen Tagen hatte es erstmals Berichte über Zusammenstöße zwischen den besonders regimetreuen Spezialeinheiten und einzelnen Offizieren der Armee gegeben. Die Offiziere sollen sich geweigert haben, auf Zivilisten zu schießen.
Mehrere Bewohner von Al-Moadhamija widersprachen der offiziellen Darstellung, wonach die Staatsmacht in der Ortschaft und in mehreren anderen Hochburgen der Protestbewegung Jagd auf Terroristen mache. Sie erklärten: „Es gibt in unserer Region weder Salafisten (Anhänger einer radikalen Islamisten-Strömung) noch Terrorbanden.“