Terrorgefahr belebt Sicherheitsdebatte neu
Berlin (dpa) - Nach der Terrorwarnung für Deutschland wird in der schwarz-gelben Koalition der Ruf nach einer Neuordnung der Geheim- und Sicherheitsdienste lauter. Aus der Union kam erneut die Forderung, die Bundeswehr im Inneren einzusetzen.
In der streng abgeschirmten Generaldebatte des Bundestags an diesem Mittwoch dürfte auch Kanzlerin Angela Merkel auf die Sorgen vor einem Anschlag eingehen. Erstmals seit der Warnung von Innenminister Thomas de Maizière (CDU) vor einer Woche gab es in Deutschland, den Niederlanden und Belgien Festnahmen im terroristischen Milieu.
Unter den Verdächtigen ist auch ein 31-jähriger Mann aus Aachen. Nach Angaben des Innenministeriums besteht aber kein Zusammenhang zu den aktuellen Terrorwarnungen in Deutschland. Die insgesamt elf Verdächtigen sollen einen Anschlag in Belgien geplant haben. Angeblich wollen sie ein von Russland unabhängiges Tschetschenien. Belgische Sicherheitskräfte untersuchten im Rahmen einer weiteren Terrorfahndung mehrere Häuser in Brüssel und nahmen rund 20 Menschen vorläufig fest. Einigen der Festgenommenen werde vorgeworfen, Rekruten für Terrorgruppen zu suchen, um sie in den Irak oder nach Afghanistan zu schicken, berichtete die Nachrichtenagentur Belga.
Der Bundestag kam am Dienstag in Berlin zu seiner ersten Sitzung nach der Terrorwarnung zusammen. Rund um das Parlamentsgebäude war mit Absperrgittern ein rot-weißer Sicherheitsring gezogen. Die Polizei hatte deutlich mehr Beamte im Einsatz als üblich. Der Reichstag gilt als eines der möglichen Ziele für den befürchteten Anschlag Ende November. Die gläserne Kuppel - ein beliebtes Ziel für Hauptstadt-Touristen - blieb weiterhin gesperrt.
Innerhalb der Koalition lebte der Streit zwischen Union und FDP über eine Verschärfung der Sicherheitsgesetze wieder auf. FDP- Generalsekretär Christian Lindner warnte den Koalitionspartner CDU/CSU davor, alte Vorschläge wieder auszugraben. Zugleich bekräftigte er die Forderung nach einer Auflösung des Militärischen Abschirmdienstes (MAD). Aus der CDU kam ein Vorstoß, wegen der Terrorgefahr die Pressefreiheit einzuschränken.
FDP-Fraktionsgeschäftsführer Christian Ahrendt sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ mit Blick auf die Geheim- und Sicherheitsdienste: „Angesichts der zugespitzten Sicherheitslage müssen wir uns auf die zentralen Herausforderungen konzentrieren, anstatt ineffektive Dreifach-Strukturen zu unterhalten.“ Dazu soll eine Expertenkommission, die vom früheren Verfassungsschutz-Chef Eckart Werthebach geleitet wird, Anfang Dezember Vorschläge machen.
Zu einer Auflösung des MAD hat der Haushaltsausschuss einen Prüfbericht beim Verteidigungsministerium angefordert, der bis April 2011 fertig sein soll. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) verlangte ein „Gesamtkonzept“ für eine Reform der Geheimdienste. Der CDU-Verteidigungsexperte Ernst-Reinhard Beck (CDU) lehnte eine Zusammenlegung des MAD mit Bundesnachrichtendienst (BND) und Verfassungsschutz ab. Den MAD mit etwa 1300 Mitarbeitern ist zuständig für die Spionageabwehr in der Bundeswehr.
Ein Vorstoß von Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) für einen Bundeswehreinsatz im Inneren wurde vom eigenen Lager abgeblockt. Bundestags-Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier (CDU) sagte: „Ich sehe dafür weit und breit keine Mehrheit.“ Guttenberg verwies auf die „bestehende Verfassungslage“ und fügte hinzu: „An diesen Rahmen hält sich die Bundeswehr.“ SPD-Chef Sigmar Gabriel warnte vor Panikmache. „Wir sind hier nicht im Krieg. Ich will nicht, dass irgendwo in Deutschland oder vor dem Reichstag Soldaten aufziehen.“
Der Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses, Siegfried Kauder (CDU), sprach sich für eine Einschränkung der Pressefreiheit aus. „Die Presse muss dazu verpflichtet werden, sich zurückzuhalten, wenn die Gefährdungslage wie jetzt hoch ist“, sagte er der „Saarbrücker Zeitung“ (Mittwoch). „Wenn die Presse darüber berichtet, welche Orte besonders gefährdet sind, dann kann das unter Umständen ein Anreiz für Terroristen sein.“ Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) wies solche Überlegungen zurück, ebenso der Vorsitzende der Rundfunk- Kommission der Länder und rheinland-pfälzische Regierungschef Kurt Beck (SPD). Er sagte am Dienstag in Mainz: „Wer die Sicherheitslage zum Anlass nimmt, über die Einschränkung von Grundrechten zu reden, disqualifiziert sich selbst.“
Weil ein Sperrmüllsammler seine „Schätze“ in einem Koffer auf dem Düsseldorfer Hauptbahnhof deponiert hatte, brach am Dienstag im Rheinland der Bahnverkehr zusammen. Aus Angst vor einen Terroranschlag sperrte die Bundespolizei den gesamten Bahnhof und die Hauptstrecke der Bahn zwischen dem Ruhrgebiet und Köln. Deswegen mussten Zehntausende Reisende Verspätungen in Kauf nehmen, 177 Züge verzögerten sich oder fielen aus.