Typisch Sachsen? Empörung über Vorgehen gegen Flüchtling
Arnsdorf (dpa) - Alles passt ins Bild: Eine selbst ernannte Bürgerwehr überwältig brutal einen psychisch kranken Flüchtling, fesselt den Iraker und bindet ihn an einen Baum. In Sachsen. Wo sonst? Die Reaktionen auf solche Meldungen lassen nicht lange auf sich warten.
„Es zeigt wieder einmal, dass Rassismus und Menschenfeindlichkeit zu einer traurigen Realität in Sachsen gehören“, sagt der Chef der Grünen-Fraktion im Bundestag, Anton Hofreiter. Der Linken-Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn spricht von „widerwärtiger Lynchjustiz“.
Ganz so klar wie die Empörung ist das Geschehen aber noch nicht. Für die Existenz einer Bürgerwehr gibt es zumindest keine Belege.
Schon im Fall des im Februar von Fremdenfeinden umstellten Flüchtlingsbusses in Clausnitz im Erzgebirge hatte ein im Internet veröffentlichtes Video den Stein ins Rollen gebracht. Und auch die Vorgänge in einem Supermarkt des Ortes Arnsdorf im Landkreis Bautzen wurden der Öffentlichkeit erst jetzt, nach mehr als anderthalb Wochen bekannt, als ein Video davon in sozialen Netzwerken die Runde macht.
Es zeigt, wie ein 21 Jahre alter Iraker mit zwei Weinflaschen in der Hand vor einer Supermarktkasse steht. Eine Mitarbeiterin fordert ihn auf, die Flaschen wegzustellen. Der Flüchtling, laut Polizei Patient des nahegelegenen psychiatrischen Krankenhauses, gestikuliert und spricht in einer für die anderen unverständlichen Sprache. Es geht um eine Telefonkarte, die er am Vortag gekauft hatte und nun reklamieren will. „Das hast du vertelefoniert“, sagt ihm eine Angestellte.
Das Video ist knapp zweieinhalb Minuten lang. Ab Minute zwei sieht man, wie vier Männer das Geschäft betreten, geradewegs auf den Iraker zugehen, ihm die Flaschen aus der Hand nehmen, an den Armen packen und aus dem Laden führen wollen. Kurz vor dem Ausgang beginnt sich der 21-Jährige zu wehren. Sofort wird er auf einen Packtisch gestoßen und geschlagen. Zu viert zerren ihn die Männer aus dem Laden. „Es ist schon schade, dass man eine Bürgerwehr braucht“, stellt eine Frauenstimme fest. Dann endet der Clip.
Einer der Männer ist Detlef Oelsner. Der 49 Jahre alte Tischler sitzt für die CDU im Gemeinderat von Arnsdorf. Es gebe keine Bürgerwehr und er wolle auch keine, sagt Oelsner. Er habe zusammen mit drei Bekannten eingegriffen, weil der Iraker schon den ganzen Tag über immer wieder in den Supermarkt gekommen sei und Kunden wie Mitarbeiter beschimpft und auch bedroht habe. Die Polizei habe den Flüchtling zweimal abgeholt und ins Krankenhaus zurückgebracht. Doch nach einer halben Stunde sei er immer wieder da gewesen.
Oelsner sagt, er habe mit den Bekannten am Gartenzaun seines Grundstück gestanden, das nur durch eine Straße vom Supermarktparkplatz getrennt sei. Der Tischler gibt zu, dass sie den Mann mit Kabelbindern gefesselt hätten. Jener habe ums sich geschlagen, getreten und versucht, ihn und die drei anderen zu beißen. Als es dem Iraker gelungen sei, die Kabelbinder zu zerreißen, und er sie angreifen wollte, hätten sie ihn erneut gefesselt und an einen Baum gebunden.
Auch als die Polizei nach gut einer halben Stunde eingetroffen sei, hätten die Beamten den Mann nicht befreit. Erst als der Notarzt kam, sei der Iraker vom Baum losgemacht worden. Mit Handschellen gefesselt und auf einer Trage fixiert habe man ihn dann im Krankenwagen weggebracht. Reue zeigt Oelsner keine. Schließlich habe er Zivilcourage bewiesen und würde es wieder machen.
Die Polizei ermittelt gegen ihn und zwei seiner Bekannten wegen des Verdachts auf Freiheitsberaubung. „Wir werden die Geschehnisse, auch das Handeln der vor Ort eingesetzten Streife, untersuchen“, sagt Görlitz' Polizeipräsident, Conny Stiehl. Zu prüfen sei nun, ob Oelsner und seine Bekannten das Festhalte- und Festnahmerecht durch Jedermann, wie es das Gesetz erlaubt, überschritten hätten, fügt sein Sprecher hinzu. In die Arbeit der Ermittlungsgruppe „Arnsdorf“ ist auch der Staatsschutz eingebunden. Gegen den Flüchtling wird wegen des Verdachts der Bedrohung ermittelt.
„Es ist das eine, dazwischen zu gehen, wenn eine Situation eskaliert, die Situation zu beruhigen. Einen psychisch kranken Mann jedoch zu schubsen, zu schlagen und mit Kabelbindern an einen Baum zu fesseln, überschreitet jedwede Grenze und ist Selbstjustiz“, sagt Sachsens Linke-Partei und Fraktionschef Rico Gebhardt. Er nennt es „Wild-West-Manier“.
Die Bürgermeisterin von Arnsdorf ist von dem Vorfall entsetzt. „Ich bin bestürzt und sprachlos und muss sagen, dass ich mich für das Handeln dieser Männer schäme“, sagt Martina Angermann. Von einer Bürgerwehr hat aber auch sie keine Kenntnis. „Ich sehe dazu auch keine Notwendigkeit, da bisher in Arnsdorf die Ruhe und Sicherheit gewährleistet war.“