Völkermord Türkei ruft Botschafter nach Völkermord-Resolution zurück
Berlin/Istanbul (dpa) - Ungeachtet scharfer Proteste der Türkei hat der Bundestag die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich vor rund 100 Jahren als Völkermord verurteilt. Ein von Union, SPD und Grünen eingebrachter Antrag wurde bei nur einer Gegenstimme und einer Enthaltung angenommen.
Die türkische Regierung reagierte empört und rief unmittelbar nach dem Beschluss ihren Botschafter aus Berlin zurück. In der Türkei wurde der deutsche Geschäftsträger ins Außenministerium einbestellt. Ankara hatte bereits zuvor vor einer Belastung der Beziehungen gewarnt. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) äußerte bei einem Argentinienbesuch die Hoffnung, dass das Verhältnis zur Türkei nicht dauerhaft belastet werde.
In der Debatte betonten Redner aller Fraktionen, die Resolution solle die Türkei nicht an den Pranger stellen und hoben eine historische Mitschuld Deutschlands hervor. Bundestagpräsident Norbert Lammert sagte: „Die heutige Regierung in der Türkei ist nicht verantwortlich für das, was vor 100 Jahren geschah, aber sie ist mitverantwortlich für das, was daraus in Zukunft wird.“
Bei Tötungen und Deportationen von Armeniern waren 1915 nach Schätzungen bis zu 1,5 Millionen Angehörige der christlichen Minderheit ums Leben gekommen. Die Türkei bedauert dies, lehnt die Einstufung als Völkermord aber strikt ab.
Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte bei einem Besuch in Nairobi: „Die Entscheidung, die das deutsche Parlament soeben getroffen hat, ist eine Entscheidung, die die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei ernsthaft beeinflussen wird.“
Ministerpräsident Binali Yildirim betonte laut staatlicher Nachrichtenagentur Anadolu, die Türken hätten sich ihrer Vergangenheit nicht zu schämen. Außenminister Mevlüt Cavusoglu warf Deutschland auf Twitter vor, mit der „verantwortungslosen und haltlosen“ Parlamentsentscheidung von den „dunklen Seiten der eigenen Geschichte“ ablenken zu wollen.
Armenien begrüßte die Resolution dagegen. „Während Deutschland und Österreich als frühere Verbündete des Osmanischen Reiches ihren Teil der Verantwortung anerkennen, leugnen die türkischen Behörden den unwiderlegbaren Fakt des Völkermordes beharrlich“, sagte der Außenminister der Südkaukasusrepublik, Edward Nalbandian.
Im Bundestag sagte Grünen-Chef Cem Özdemir, bei der Aufarbeitung gehe es auch um ein Stück deutscher Geschichte. Es sei eine „historische Verpflichtung“, Armenier und Türken aus Freundschaft zur Versöhnung zu ermuntern, betonte er mit Blick auf das Deutsche Reich als Partner des Osmanischen Reiches. Unionsfraktionsvize Franz Josef Jung (CDU) sagte, die Türkei solle nicht auf die Anklagebank gesetzt werden.
Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich sagte: „Gegenstand der Debatte ist der Völkermord an den Armeniern und nicht die Beurteilung Präsident Erdogans.“ Gregor Gysi von der Linken sagte aber mit Blick auf den Flüchtlingskurs der Regierung: „Es demütigt uns alle, dass die Bundeskanzlerin zu all diesen Menschenrechtsverletzungen mehr schweigt als spricht, sich bei Präsident Erdogan eher anbiedert.“
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte Unterstützung für den Antrag erkennen lassen, nahm aber nicht an der Debatte teil. Bei einer späteren Pressekonferenz hob sie die freundschaftlichen Beziehungen zur Türkei hervor. Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) war ebenfalls nicht im Plenarsaal. Steinmeier betonte in Buenos Aires: „Ich hoffe, dass es uns gelingt, die nächsten Tage und Wochen miteinander so zu gestalten, dass es zu keinen Überreaktionen kommt.“
Mit Nein stimmte die sächsische CDU-Abgeordnete Bettina Kudla. In einer Erklärung begründet sie dies unter anderem damit, es sei nicht Aufgabe des Bundestages, historische Bewertungen von Ereignissen in anderen Staaten vorzunehmen. Der CDU-Abgeordnete Oliver Wittke aus Nordrhein-Westfalen enthielt sich.
Lammert betonte, der Bundestag wolle unbequemen Fragen nicht aus dem Weg gehen. Drohungen vor allem gegen türkischstämmige Abgeordnete vor der Abstimmung verurteilte er scharf. Solche Versuche, die freie Meinungsbildung des Parlaments zu verhindern, seien inakzeptabel. „Wir werden sie nicht hinnehmen und uns ganz gewiss von ihnen nicht einschüchtern lassen.“