Interview Integrationsministerin Özoguz "Über Afghanistan müssen wir noch einmal reden"
Integrationsministerin Özoguz (SPD) über die Flüchtlingskrise, den Hass und umstrittene Abschiebungen.
Berlin. Aydan Özoguz, in Deutschland geborene Tochter türkischer Gastarbeiter, ist als Staatsministerin im Kanzleramt für die Integrationspolitik der Bundesregierung verantwortlich. Mit der 49jährigen stellvertretenden SPD-Vorsitzenden sprach unser Berliner Korrespondent Werner Kolhoff über die Lage nach dem Anschlag von Berlin.
Özoguz: Wir haben zahlreiche neue Gesetze erlassen, Finanzflüsse neu strukturiert und ein Gesamtkonzept für den Sprachunterricht beschlossen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wurde personell aufgestockt, die Sicherheitszusammenarbeit zwischen europäischen Ländern deutlich verbessert. Jetzt beginnt die Umsetzung und die eigentliche Integration.
Ö.: Die Verfahren dauern immer noch zu lang. Wir sind noch nicht schnell genug bei vielen Entscheidungen.
Ö.: Es ist grauenhaft, was in Berlin passiert ist. Der Täter hat unfassbaren Schmerz über viele Familien gebracht. Ich weiß, wie schockiert gerade auch Flüchtlinge von dem Anschlag sind. Sie kennen ja häufig aus eigener Erfahrung das Leid, das Terror auslöst. Und zugleich müssen sie fürchten, dass auch sie selbst unter Generalverdacht stehen. Genau das wollen die Terroristen: Einen Keil in unsere Gesellschaft treiben. Dieses zynische Kalkül darf aber nicht aufgehen, wir müssen noch enger zusammenrücken.
Ö.: Nein. Der Attentäter aus Berlin kam 2011. Da gab es keinen Flüchtlingsstrom. Die Gefahr von Terroristen besteht immer. Entscheidend ist, dass die Sicherheitsbehörden national und EU-weit so gut aufgestellt sind und ihre Daten auch sofort austauschen, dass die Gefahr so gering wie möglich gehalten werden kann. Bekannte Gefährder sollten jedenfalls nicht unbemerkt herumreisen können.
Ö.: Ich glaube, jeder anständige Mensch ist entsetzt über die Anschläge und Übergriffe gegen Flüchtlinge. Als Muslimin finde ich es grauenhaft wie der Islam für Terrorismus pervertiert wird. Ich finde es aber auch besonders erschreckend, wie Stimmung gegen die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer in unserem Land gemacht wird, die sich für Flüchtlinge oder einfach nur für Integration einsetzen. Es ist beschämend, dass Menschen, die sich für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft stark machen, Ziel von Häme und Hetze sind, weil andere daraus politisches Kapital schlagen wollen.
Ö.: Für mich sieht es aktuell eher so aus, dass Teile der CSU wie auch CDU nicht mehr hinter dem Kurs ihrer Kanzlerin stehen wollen, dies aber nicht offen sagen. Sie suchen dafür Nebenschauplätze, kürzlich mit dem unsinnigen Beschluss, für hier geborene Kinder von Ausländern die alte Optionspflicht im Staatsangehörigkeitsrecht wieder einzuführen.
Ö.: Die SPD sagt deutlich, wer hier nicht bleiben darf, muss zurückgehen. Aber die "freiwillige" Rückkehr ist im Vergleich zur Abschiebung der klar wichtigere und auch der aussichtsreichere Weg. Niemals zuvor hat es so viele Menschen gegeben, die von sich aus einer Abschiebung zuvorgekommen sind. Da können wir noch viel mehr tun als bisher. Für Abschiebungen wie bei Straftätern bedarf es einer deutlich besseren Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern.
Ö.: Wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Gefahr vorliegen, ist das bereits nach heutiger Rechtslage für mehrere Monate möglich. Und es spricht auch nichts gegen eine bessere Überwachung von Gefährdern.
Ö.: Afghanistan ist ein schwieriges Land, über das wir in der Bundesregierung noch einmal reden müssen, auch weil bei vielen Bundesländern noch erhebliche Bedenken bestehen. Nicht alle Geduldeten aus Afghanistan können abgeschoben werden. Im Einzelfall muss geschaut werden, ob es berechtigte Gründe gegen eine Abschiebung gibt. Zugleich ist aber auch richtig: Es gibt in Afghanistan zweifellos Krieg und Terror. Es entbehrt nicht eines gewissen Zynismus' zu sagen, ihr müsst zurück, weil wir eine Stelle in eurem Land gefunden haben, in der gerade mal keine Bomben hochgehen. Etwas anderes ist es zum Beispiel mit vielen Menschen aus den Maghreb-Staaten. Ich sehe grundsätzlich keinen Grund, warum abgelehnte Asylbewerber nicht dorthin zurückkehren sollten. Wenn ihre Herkunftsländer sich weigern sie wieder aufzunehmen, dann macht das auch mich sauer.