Verfassungsschutzbericht 2017: Mehr Risiko-Islamisten und Rechtsextremisten
Berlin (dpa) - Links, rechts oder islamistisch: Immer mehr Menschen in Deutschland fühlen sich von extremistischen Ideologien angezogen. Im vergangenen Jahr stieg ihre Zahl laut Verfassungsschutz um neun Prozent auf 126.000 Extremisten.
„Das ist aus meiner Sicht eine sehr hohe Zahl“, sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen in Berlin bei der Vorstellung des Jahresberichts seiner Behörde.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) forderte, bei der Abschiebung islamistischer Gefährder müsste man „noch besser werden“. Er stehe der Idee, die Verantwortung für Abschiebungen stärker dem Bund zu übertragen, offen gegenüber.
Die Behörden rechneten Ende Mai rund 1900 Salafisten dem „islamistisch-terroristischen Personenpotenzial“ zu. Unter diese Definition fallen sogenannte Gefährder, sogenannte „relevante Personen“ sowie andere Menschen aus dem islamistischen Spektrum, die der Verfassungsschutz auf dem Schirm hat. Zum Vergleich: Ein Jahr zuvor fielen etwa 1700 Salafisten in diese Kategorie. Gefährder sind Menschen, denen die Polizei eine schwere politisch motivierte Straftat zutraut - etwa einen Terroranschlag. Als „relevant“ wird eingestuft, wer innerhalb des extremistisch-terroristischen Spektrums eine Führungsrolle einnimmt, als Unterstützer gilt oder enge Kontakte zu Gefährdern pflegt.
Das Bundeskriminalamt zählt bundesweit aktuell 774 islamistische Gefährder. Davon halten sich 450 Gefährder derzeit in Deutschland auf. Die Anderen sind ausgereist. Etwa 170 Gefährder sitzen in deutschen Gefängnissen.
Die Gesamtzahl der Salafisten, zu denen auch radikale Frömmler ohne terroristische Bestrebungen zählen, stieg binnen eines Jahres von 9700 auf 10.800 Menschen an. Was dagegen stagniert, ist die Zahl der Salafisten, die in von Terroristen kontrollierte Gebieten ausreisten.
Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund ging 2017 um 35 Prozent zurück. Das hängt auch damit zusammen, dass es heute weniger Sammelunterkünfte für Asylbewerber gibt. Diese waren in den Vorjahren häufig Ziel von Angriffen der Rechtsextremisten gewesen. Die Behörden zählten Ende 2017 bundesweit rund 24.000 Rechtsextremisten. Ein Jahr zuvor hatten sie diesem Spektrum rund 23.100 Menschen zugeordnet. Die Zahl der Neonazis stieg um 200 auf etwa 6000.
Im vergangenen Jahr gehörten 16.500 Menschen zur Szene der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter. Diese erkennen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und ihres Rechtssystems nicht an. Nach jüngeren Zahlen von Ende März geht der Verfassungsschutz inzwischen von 18.000 Reichsbürgern aus, davon 950 Rechtsextremisten.
Unter den Angehörigen der Szene haben 1200 eine waffenrechtliche Erlaubnis, 450 Personen wurde sie entzogen. Knapp drei Viertel der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ sind Männer und älter als 40 Jahre. Gerichte, Polizei und Behörden würden von Szene-Angehörigen zunehmend in ihrer Arbeit behindert, Mitarbeiter würden bedroht, heißt es. Vereinzelt komme es zu körperlichen Übergriffen. Sieben Prozent der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ haben den Angaben zufolge eine waffenrechtliche Erlaubnis. Das ist deutlich mehr als in der Gesamtbevölkerung (zwei Prozent).
Dass die Zahl der Linksextremisten im vergangenen Jahr um vier Prozent auf 29.500 Menschen zugenommen hat, hängt nach Ansicht der Experten auch mit dem Erstarken der AfD zu tun. Sie gilt vielen Extremisten des linken Spektrums als Feindbild.
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, sagte: „Gefährlich sind in meinen Augen auch die Verbindungen von AfD-Politikern zu rechtsextremen Kreisen, insbesondere zur sogenannten Identitären Bewegung.“ Neben der Beobachtung einzelner AfD-Politiker sollte auch die Beobachtung einzelner AfD-Landesverbände durch den Verfassungsschutz erwogen werden.
Seehofer will herausfinden, warum manche bislang unauffällige Menschen binnen kurzer Zeit rechtsextrem werden - auch ob das mit der Zahl der neu ankommenden Flüchtlinge zusammenhänge. „Gibt es einen kausalen Zusammenhang zwischen einer bestimmten Politik und der Radikalisierung der Bevölkerung? Das interessiert mich schon“, sagte der Minister.