Playlist Von Wind und Freiheit, SOS und Eis - Playlist zum Mauerfall-Jubiläum

Berlin · „Freiheit“ oder „Wind Of Change“: Manche Titel von West-Songs, die sich ins kollektive Wende-Gedächtnis eingebrannt haben, sind ganz eindeutig. Ost-Lieder wie „SOS“ oder „Das Eis taut“ sandten dagegen verstecktere Botschaften. Eine Playlist zum Mauerfall-Jubiläum.

Rockmusiker Udo Lindenberg (r) mit dem Bassisten Steffi Stephan auf einem Puffer der Lokomotive seines "Sonderzugs nach Pankow" im Jahr 2003.

Foto: dpa/Tim Brakemeier

Wohl jeder, der die Wendezeit vor 30 Jahren erlebte, hat dazu heute noch Bilder vor Augen. Und viele Deutsche haben auch passende Lieder im Ohr. Wie also klingt er, der Soundtrack zum Mauerfall am 9. November 1989? Eine Playlist aus West und Ost.

„Wind Of Change“ von den SCORPIONS: Vielen gilt dieses von Klaus Meine gesungene und gepfiffene Lied als perfekte Wende-Hymne. Kurz vor dem Mauerfall geschrieben und kurz nach der Wiedervereinigung im November 1990 veröffentlicht, traf die Rockballade den Zeitgeist wie kein anderes Musikstück der späten 80er. „Der Song drückte ein Gefühl der Hoffnung aus, dass wir alle in der Zukunft in einer friedlicheren Welt leben können“, sagte Meine später. Die Scorpions, eine bereits erfolgreiche Hardrockband aus Hannover, wurden damit zu Weltstars.

„Freiheit“ von MARIUS MÜLLER-WESTERNHAGEN: Noch eine melancholische Ballade, mit Zeilen wie „Alle, die von Freiheit träumen/sollten's Feiern nicht versäumen/sollen tanzen auch auf Gräbern“. Der Sänger hatte das Lied bereits 1987 auf einem Album veröffentlicht. „Wenn du Songs schreibst, lässt du sie frei“, sagte Westernhagen jetzt der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Und dann nehmen sie ihren Weg. Ich hatte Glück, dass so viele Menschen sich das zu eigen gemacht haben. Lieder können keine Revolution veranstalten, aber sie können emotional Push geben. Wenn es das getan hat, bin ich sehr glücklich darüber. Es war aber nicht meine Absicht. Ich kann dafür die Lorbeeren einfach nicht entgegennehmen.“ Am 18. September 1990 als Single herausgebracht, rührte das Lied viele Deutsche zu Tränen.

„Sonderzug nach Pankow“ von UDO LINDENBERG: Mit den Ereignissen des Jahres 1989 hat dieses an DDR-„Oberindianer“ Erich Honecker adressierte Lied von 1983 eigentlich nichts zu tun. Lindenberg war ein Auftritt in Ost-Berlin verwehrt worden, dagegen sang er an. Der witzig-respektlose Text gilt heute als Türöffner. „Laß doch nun auch mal einen echten deutschen Klartext-Rocker in der DDR rocken“, schrieb Lindenberg an Honecker - und durfte am 25. Oktober 1983 zum ersten und bis zur Wende einzigen Mal in der DDR auftreten. Mit dem Austausch von Lederjacke und Schalmei ging das Scharmützel des West-Sängers mit dem Ost-Parteibonzen 1987 weiter.

LookingFor Freedom“ von DAVID HASSELHOFF: Bis heute genießt der frühere „Baywatch“-Schauspieler die Popularität seines 1989 veröffentlichten Schlagers. Nach der Wende hatten Hunderttausende in Ost und West zu dem Song des US-Sängers geschunkelt: „I've been looking for freedom/I've been looking so long/I've been looking for freedom/still the search goes on“. Allerdings weist Hasselhoff den Eindruck, er habe sich danach zum Mauer-Öffner überhöht, im Interview zurück: „Ich hatte nie etwas damit zu tun und habe das auch nie gesagt - niemals.“

Heroes“ von DAVID BOWIE: Kaum zu überschätzen ist die Wirkung des britischen Superstars bei einem Berlin-Konzert kurz vor der Wende. Im Juni 1987 verursachte sein Auftritt am Reichstag Proteste hinter dem Brandenburger Tor. Der einstige Wahl-Berliner sang im Lied „Heroes“ von Schüssen an der Mauer. „Die Mauer muss weg“, riefen DDR-Rockfans, Schlagstock-Prügel waren die Antwort. Das Auswärtige Amt würdigte Bowies Ost-Ausrichtung unmittelbar nach seinem Tod 2016: „Thank you for helping to bring down the Wall“.

„Born To Run“ von BRUCE SPRINGSTEEN: Als Auftritte westlicher Rockmusiker in der DDR noch sehr selten waren, trat „The Boss“ 1988 auf SED-Einladung in der Radrennbahn Berlin-Weißensee auf. Springsteen, dessen „Born To Run“ auch im Osten den Drang nach neuem Aufbruch und mehr Freiheit ansprach, ließ sich nicht vereinnahmen. Vor über 160 000 Fans prangerte er „Barrieren“ an. „1988 war Ostdeutschland überreif für eine Veränderung“, schrieb Springsteen 2016 in seiner Autobiografie: „Und schon bald würde sich der lang aufgestaute Freiheitswille explosiv entladen...“

Während Polit-Botschaften in Liedern bundesdeutscher oder „westlicher“ Musiker meist mehr oder weniger eindeutig daherkamen, mussten sich Künstler auf der anderen Seite der Mauer vorsichtiger ausdrücken. Aber wer hören wollte, dass etwas faul war im Staate DDR, der konnte es in Liedern von Silly, City, Pankow oder Keimzeit durchaus hören.

„SOS“ von SILLY: „Wir bezwingen Ozeane/mit 'm gebrauchten Narrenschiff/über uns lacht 'ne goldene Fahne/unter uns ein schwarzes Riff...“, so beginnt „SOS“. Der Song erschien 1989 auf der Silly-Platte „Februar“, die revolutionär war: Als erstes Album der DDR-Rockgeschichte wurde es in Koproduktion mit einer westdeutschen Plattenfirma produziert - in einem Westberliner Studio. Das Album steckte - wie das Lied - voller Andeutungen.

„Halb und halb“ von CITY: Sänger Toni Krahl, der 1968 als Abiturient wegen seines Protestes gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings verhaftet worden war, ließ sich auch später nicht beugen. Bei einem Konzert 1988 legte ihm ein Parteisekretär nahe, „Halb und halb“ nicht zu spielen - der Grund: Egon Krenz sei im Publikum. Krahl sagte dem Publikum, dass das Lied nicht gespielt werde - und zitierte dann den Text: „Im halben Land und der zerschnittenen Stadt/halbwegs zufrieden mit dem/was man hat/halb und halb“.

„Langeweile“ von PANKOW: „Zu lange gewartet/zu lange gehofft/zu lange die alten Männer verehrt“: Präzise beschrieben Pankow die politische Situation kurz vor dem Mauerfall. Das Lied gehörte zum 1988 veröffentlichten Album „Aufruhr in Deinen Augen“. Das Wort „Aufruhr“ stieß bei der Plattenfirma Amiga auf Bedenken. Der Gegenvorschlag: „Power in den Augen“ - obwohl es in der DDR jahrelang verboten war, Englisch zu singen. Schließlich blieb es doch beim deutschen Titel.

„Das Eis taut“ von PETRA ZIEGER UND BAND: „Kein fauler Zauber/der uns blendet und trügt/wir wissen was wir woll'n/und dass nur Trost nicht genügt. (...) Das Eis taut auf der Haut/aus der alten Erde treibt neues Grün“. Zieger war lange vor allem mit rockigen Liebesliedern wie „Schmusen auf dem Flur“ erfolgreich. Der kurz vor dem Mauerfall produzierte Song „Das Eis taut“ wurde zu einem der großen Wende-Hits im Osten. Höhepunkt für die Erfurterin: ein Auftritt vor 500 000 Zuschauern in Philadelphia/USA.

„Irrenhaus“ von KEIMZEIT: Die Geschwister Leisegang aus Brandenburg nahmen 1988 das Album „Irrenhaus“ auf. Im Titelsong heißt es: „Irre ins Irrenhaus/die Schlauen ins Parlament/selber schuld daran/wer die Zeichen der Zeit nicht erkennt“. Für Amiga war nicht nur dieser Keimzeit-Text ein „No-Go“ - aus dem Album wurde nichts. Rund ein Jahr später waren die Umstände dann viel günstiger: Eine Plattenfirma in West-Berlin griff zu, „Irrenhaus“ wurde ein Erfolg, die Band weit über ihre Heimat hinaus populär.

Zwei Playlist-Exoten als Rausschmeißer gefällig? Dann gehört eine Gewandhausorchester-Aufführung von Ludwig van Beethovens 9. Sinfonie („Ode an die Freude“) unter dem Dirigenten und Wende-Helden Kurt Masur zum Mauerfall-Soundtrack. Und warum nicht auch die legendär schiefe deutsche Nationalhymne vom 10. November 1989 vor dem Berliner Rathaus Schöneberg - mit Helmut Kohl und Willy Brandt als Vorsängern.

(dpa)