Voßkuhle weist Vorwurf der Europafeindlichkeit zurück

Berlin (dpa) - Verfassungsgerichtspräsident Voßkuhle wehrt sich gegen Kritik, Karlsruhe habe bei der Drei-Prozent-Hürde europafeindlich geurteilt. Nach wie vor gibt es massive Kritik. In die Debatte gerät auch die Fünf-Prozent-Sperrklausel bei Bundestagswahlen.

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Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, weist Vorwürfe der Europafeindlichkeit wegen des Urteils zur Drei-Prozent-Hürde weit von sich. „Ich persönlich sehe mich als überzeugten Europäer und finde die Idee eines europäischen Bundesstaates als Fernziel nach wie vor sinnvoll“, sagte er dem Magazin „Spiegel“. Er könne nicht erkennen, „dass das Bundesverfassungsgericht mit seinen Entscheidungen die europäische Integration an irgendeiner Stelle ernsthaft behindert hätte.“

Das Bundesverfassungsgericht hatte die Drei-Prozent-Hürde für Europawahlen Ende Februar für verfassungswidrig erklärt. Sie verstoße gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien, lautete die Begründung. Voßkuhle betonte, dass die Karlsruher Rechtsprechung über die Jahre das Aufkommen radikaler Bewegungen erschwert habe. „Nicht von ungefähr haben antieuropäische Strömungen in Deutschland weniger Zulauf als in anderen Mitgliedstaaten.“

Die Kritik an der Entscheidung reißt jedoch nicht ab. „Ich glaube, das Bundesverfassungsgericht hat nicht verstanden, wie die Demokratie auf europäischer Ebene funktioniert“, sagte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz dem „Spiegel“. Für den deutschen EU-Kommissar Günther Oettinger ist der Karlsruher Richterspruch „rückwärtsgewandt, er entspricht dem Europarlament der achtziger Jahre. Ich bin mir sicher, dass Karlsruhe in zehn Jahren seine Rechtsprechung korrigieren muss.“

Auch der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, rügte das Kippen der Drei-Prozent-Hürde. Er halte das Urteil weder im Ergebnis noch in der Begründung für richtig, sagte er der „Welt am Sonntag“. „Wie man die Fünf-Prozent-Hürde bei Bundestagswahlen für zulässig erachten kann, die Drei-Prozent-Klausel bei Europawahlen aber nicht, leuchtet mir nicht ein.“ Die Gemeinsamkeiten zwischen dem Bundestag und dem Europäischen Parlament seien doch sehr groß, wenn es um den Schutz der Funktions- und Arbeitsfähigkeit gehe.

Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele forderte auch prompt die Abschaffung der Fünf-Prozent-Sperrklausel für Bundestagswahlen. „Ich halte die Fünf-Prozent-Hürde für undemokratisch, weil sie dazu führt, dass Millionen von Wähler im Bundestag nicht vertreten sein“, sagte er der „Welt“. Dies habe die letzte Bundestagswahl gezeigt. „Das kann nicht demokratisch sein.“

Dem widersprach der innenpolitische Sprecher der Partei, Volker Beck. Es gebe keinen Grund, an der Fünf-Prozent-Hürde zu rütteln, sagte er. „Weder verfassungsrechtlich noch politisch.“

Auch der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, dessen Partei bei der letzten Bundestagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert war, sprach sich dafür aus, an der Sperrklausel festzuhalten. Diese habe sich bei Bundestags- und Landtagswahlen bewährt. Sie schütze das Parlament vor Zersplitterung und sichere seine Funktionsfähigkeit, sagte Lindner der „Welt“. Er mahnte: „Parteien sollten eine gewisse Festigkeit in Programm und Organisation haben.“

Die eurokritische Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) kann unterdessen bei der Europawahl im Mai nach Umfragen mit einem Ergebnis von bis zu 7,5 Prozent rechnen. Diesen Wert hat das Institut INSA im Auftrag des Magazins „Focus“ ermittelt. Das Meinungsforschungsinstitut Emnid sieht die AfD im „Sonntagstrend“ der „Bild am Sonntag“ mit 5 Prozent hingegen deutlich niedriger.