Treffen in Bonn Warum die SPD Steuern sexy findet
Bonn · Die Landesverbände von NRW und Hessen beschließen ein gemeinsames Eckpunktepapier. Für Norbert Walter-Borjans ist das eine Frage der Gerechtigkeit.
Das Edelhotel Kameha am Bonner Bogen duzt seine potenziellen Kunden bereits auf der Internetseite. Da fühlt sich das sozialdemokratische Genossenherz sofort angesprochen. Zumal der niederländische Star-Designer Marcel Wanders mit seiner neobarocken Ausstattung nach eigener Einschätzung nicht nur eines der besten Hotels Deutschlands geschaffen hat, sondern gleich auch einen „Ort, der sexy und cool ist“. So sexy und cool wären die SPD-Landesverbände von Nordrhein-Westfalen und Hessen auch gerne wieder.
In der fünften Etage treffen sich die beiden Präsidien an diesem Freitag im „Yu Private“-Raum bei Frühlingssonne und Rheinblick nun aber, um sich einem Themenfeld zu widmen, das gemeinhin dann doch eher als unsexy und uncool gilt: Steuern und Finanzen. Weil sie das wissen, haben die beiden Landesvorsitzenden Sebastian Hartmann (NRW) und Thorsten Schäfer-Gümbel (Hessen) den einzigen Sozialdemokraten in die Mitte genommen, dem es gelungen ist, sich sogar mit Steuerfragen eine gewisse Coolness zu erarbeiten: Nordrhein-Westfalens ehemaligen Finanzminister Norbert Walter-Borjans.
Firmen sollen globale Verteilung von Gewinnen darstellen
Walter-Borjans trommelt seit einiger Zeit dafür, dass seine Partei um die sperrigen Steuerthemen nicht länger einen Bogen macht. Und zumindest gelingt es dem 66-Jährigen an diesem Tag schon mal, die beiden von historischen Wahlniederlagen wundgeschlagenen Landesverbände hinter sich zu versammeln: Einstimmig wird das sechsseitige Eckpunktepapier „Handlungsfähigkeit stärken – Solidarität erneuern: Für einen starken solidarischen Staat!“ verabschiedet. Und auch wenn das Wort Steuern in dem kraftstrotzenden Titel gar nicht vorkommt, dreht sich doch der Inhalt nur darum. Beim Bundesparteitag im Dezember wollen NRW und Hessen damit die Bundespartei zu einer gemeinsamen Beschlussfassung drängen.
Denn für Walter-Borjans steht das Steuerthema exemplarisch für die Gerechtigkeitsfrage. Entsprechend finden sich in dem Papier zwei Schwerpunkte: der Blick auf diejenigen, die sich mit Steuertricksereien und Steuerbetrug aus der Mitfinanzierung und Mitverantwortung stehlen. Und der Blick auf die „Unwucht“, die sich nach seiner Einschätzung dadurch ergeben hat, dass durch die Regierung Schröder vor 15 Jahren zwar die größte Einkommen- und Körperschaftssteuersenkung in der Geschichte der Bundesrepublik vollzogen wurde. „Besonders profitiert davon haben allerdings die Großverdiener“, räumt das Eckpunktepapier ein. „Diese Verteilungswirkung wollen wir korrigieren.“
Für den ersten Schwerpunkt formuliert das Papier unter anderem die Erwartung, dass internationale Unternehmen dazu verpflichtet werden, ihre globale Verteilung von Umsätzen, Gewinnen und Steuerzahlungen nicht nur den Behörden, sondern auch öffentlich darzulegen. Zudem müssten die Kooperation von Steuerbehörden, Finanzaufsicht und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht verbessert und die Durchgriffsrechte verstärkt werden. Die beiden Landesverbände fordern auch ein Unternehmensstrafrecht. Es könne nicht sein, so Walter-Borjans, dass bei Banken, die in der Hauptsache Beihilfe zu Steuerstraftaten leisteten, nur einzelne Mitarbeiter sanktioniert werden könnten, aber nicht das Unternehmen insgesamt.
Mehr Steuergerechtigkeit verspricht sich die SPD durch eine Reaktivierung der Vermögensteuer und eine Gleichbehandlung bei der Erbschaftssteuer. Unternehmenserbschaften sollen nicht weiter privilegiert werden. Bei der Einkommensteuer will Walter-Borjans künftig den Begriff des Durchschnittssteuersatzes etablieren. Die Missverständnisse beim Begriff Spitzensteuersatz würden immer wieder gezielt von Lobbyisten genutzt. Denn der Spitzensteuersatz wird entgegen weitverbreiteter Meinung keineswegs auf das gesamte Einkommen angewendet, sondern gilt pro Person erst jenseits von knapp 56.000 Euro. Das Beispiel des Eckpunktepapiers: Ein Single mit 60.000 Euro zu versteuerndem Jahreseinkommen erreicht zwar den Spitzensteuersatz von 42 Prozent. Aber sein Durchschnittssteuersatz auf das zu versteuernde Einkommen beträgt nur 27,6 Prozent.
Unter dem Strich, so schwebt es dem Steuer-Robin-Hood der SPD vor, sollen 80 bis 90 Prozent der Einkommen nicht be-, sondern entlastet werden. Für die oberen zehn Prozent will Walter-Borjans den Soli vorerst als „Faustpfand“ behalten. Dessen Abschaffung dürfe dort nicht zu geringeren Steuersätzen führen, sondern sei erst generell verzichtbar, wenn der Durchschnittssteuersatz für diese Einkommensgruppen entsprechend angehoben worden sei.
NRW braucht die Unterstützung aus weiteren Bundesländern
Einsamer Rufer in der SPD-Wüste will Walter-Borjans nun allerdings nicht bleiben. Andere Länder müssten die Vorschläge mittragen. „Der Cum-Ex-Steuerbetrug hat gezeigt, dass eine verstärkte Ausstattung in allen Ländern und im Bund notwendig ist.“ Immerhin: Mit NRW (109 000 SPD-Mitglieder) und Hessen (55 000 SPD-Mitglieder) ziehen schon mal zwei Landesverbände an einem Strang, die historisch eher durch gepflegte Rivalitäten aufgefallen sind. Das kann fast schon wieder als sexy durchgehen.
Als die Präsidien den Konferenzraum im fünften Stock verlassen, bleibt an der gläsernen Stirnseite der in die Scheibe eingelassene Satz zurück: „Life is grand“. Ob auch die Zukunft der SPD großartig ist, wird Thorsten Schäfer-Gümbel allerdings nur noch aus der Distanz verfolgen können: Wenn das Steuerpapier im Dezember die Bundespartei beschäftigt, will er sich aus der aktiven Politik zurückziehen.