Sondierungsgespräche in Berlin Wie baut man eine Koalition?
Berlin (dpa) - Am Mittwoch beginnen Union, FDP und Grüne damit, das erste deutsche Jamaika-Bündnis auf Bundesebene auszuhandeln. Das wird mühsam, denn die Parteien haben ganz unterschiedliche Ideen davon, wie Deutschland regiert werden soll.
Ein Überblick über die wichtigsten Schritte und Begriffe für die kommenden Wochen:
Darin loten Unterhändler aus, welche Kompromisse möglich sind und ob es sich lohnt, in Koalitionsverhandlungen einzusteigen. Sie beginnen am Mittwoch. Namensgeberin ist die Sonde. Heute heißen so vor allem Geräte in der Medizin oder der Weltraumforschung. Früher stand Sonde für Lot oder Senkblei. Weil Jamaika so neu und kompliziert ist, werden die Parteien besonders gründlich vorverhandeln, vielleicht auch schon in Themen-Arbeitsgruppen. Am Ende könnten Eckpunkte schon mal schriftlich festgehalten werden, was eher ungewöhnlich ist.
Der nächste Schritt nach den Sondierungen. Da geht es ans Eingemachte, an die Details. Alle Teilnehmer haben dann das erklärte Ziel, einen Koalitionsvertrag auszuhandeln. In der Regel bereiten Fachleute auf Arbeitsebene Papiere vor, die Entscheidungsgruppen müssen das dann absegnen. Am Ende steht, wenn es gut geht, ein Koalitionsvertrag. Die Jamaika-Partner haben vor, so gründlich zu sondieren, dass möglichst nichts mehr schief geht. Dass der Vertrag vor Weihnachten steht, ist sehr unsicher.
Darin werden die Projekte der Koalition für die kommenden vier Jahre festgehalten. Der von 2013 war 185 Seiten lang und ziemlich detailliert - vor allem auf Wunsch der SPD, die ihre Erfolge von vornherein festgeschrieben sehen wollte. Auch diesmal gehen die Parteien davon aus, dass viele Details in den Vertrag müssen, da es bei Union, FDP und Grünen inhaltlich besonders kompliziert wird.
Die sogenannten Delegationen, also die Unterhändler-Gruppen der Parteien. Sondieren werden Parteichefs, Generalsekretäre, Fraktionschefs, Spitzenkandidaten aus dem Wahlkampf sowie einige Minister aus Bund und Ländern, Ministerpräsidenten und Fachpolitiker. Es gibt Kernteams für die kleinen Runden. Bei Treffen in großer Runde kommen mehr als 50 Leute zusammen. Für die Koalitionsverhandlungen können die Parteileute auch Fachwissen von außen holen - zum Beispiel Experten aus den Ministerien.
Erst mal in der Parlamentarischen Gesellschaft neben dem Reichstag. Das ehemalige Reichspräsidentenpalais ist neutraler Boden in Berlin, sozusagen die Schweiz der deutschen Politik. Die Gesellschaft will als Club der Abgeordneten Gesprächskultur und Vertrauen stärken - über Parteigrenzen hinweg. Die Öffentlichkeit darf nicht hinein. Drinnen ist viel Platz für Gespräche in nobel-gediegener Atmosphäre. Einen Garten zum Durchatmen und stille Nebenräume gibt es auch, und die Parlamentarier loben das Essen.
Jede Partei hat für sie besonders wichtige Punkte und ihre No-Gos. Im Vorfeld haben alle rote Linien gezogen. Sowas kann schnell zum Problem werden - aber natürlich wollen weder Grüne und FDP noch die Union ihre Identität verlieren und damit die Wähler fürs nächste Mal verprellen. Beispiele: Die Grünen brauchen Fortschritt beim Kohleausstieg, die FDP will den Soli unbedingt abbauen, die Union die Zuwanderung begrenzen. Intern sind Verhandlungsstrategien und Knackpunkte teils schon vorbereitet, von außen lassen die Verhandlungspartner sich natürlich nicht in die Karten schauen.
Offiziell passiert das ganz am Schluss, geredet wird aber schon viel. Bisher ist noch nicht mal klar, wie viele und welche Ministerien es geben wird - vielleicht ein Integrationsministerium? Oder eines für Digitalisierung? Rutscht der Verbraucherschutz vom Justiz- ins Umweltministerium? Dass die Grünen die Themen Umwelt und Klima bekommen, gilt aber zum Beispiel als sicher. Wenn feststeht, welche Partei welche Minister stellen darf, entscheiden die Parteien selbst, wen sie für die Ämter auswählen. Gut möglich wäre, dass jede „kleine“ Partei - FDP, Grüne, CSU - drei Minister bekommt, die CDU den Rest.
Klar. Jede Partei kann die Gespräche jederzeit platzen lassen. Außerdem gibt es mehrere formelle Hürden: Bei den Grünen muss ein Bundesparteitag den Einstieg in Koalitionsverhandlungen beschließen. Den Koalitionsvertrag sollen bei FDP und Grünen die Parteimitglieder, bei CSU und CSU jeweils Parteitage billigen.
Wenn Jamaika scheitert, bleibt noch eine Neuauflage der großen Koalition. Das hat die SPD schon am Wahlabend ausgeschlossen. Ob sie sich im Fall der Fälle doch anders entscheiden würde - zum Beispiel, wenn Kanzlerin Angela Merkel zurücktritt - ist reine Spekulation. Wenn nicht, dann muss der Bundestag wohl neu gewählt werden.
Bisher sind die Groko-Minister im Amt, auch wenn man davon nicht mehr viel merkt. Ab dem 24. Oktober, wenn der neu gewählte Bundestag erstmals zusammenkommt, bilden sie eine geschäftsführende Regierung. Und zwar so lange, bis die neue vereidigt wird - und dazu muss ein Koalitionsvertrag her.