SPD Wie die SPD ihre Niederlagen verdaut und zwei Kellner sich darauf ihren eigenen Reim machen
Wahlabende bei der SPD sind häufig Trauerveranstaltungen. In diesem Jahr war es eine Katastrophe.
Berlin. Als ich am 24. September rund eine Stunde vor Schließung der Wahllokale im Willy-Brandt-Haus ankam, stand vielen Sympathisanten der Partei schon eine düstere Vorahnung ins Gesicht geschrieben. Alle aktuellen Umfragen hatten jeden optimistischen Anflug auf ein Wunder zunichte gemacht. In so einer Situation ist man als Journalist geneigt, nach Symbolen zu suchen, nach einem sinnbildhaften Ausdruck für die miese Stimmung. Er war schnell gefunden. Gab es doch zuhauf rote Luftballons mit der Aufschrift „Schulz 2017“, die entweder schon mächtig schlaff herumhingen, oder erst gar nicht aufgeblasen waren.
Die SPD hat schon viele solcher Abende erleb. Im Wahljahr 2009 lösten die ersten TV-Prognosen von damals kaum 23 Prozent der Wählerstimmen noch ein lautes Stöhnen aus. Vier Jahre später tröstete sich mancher mit dem Gedanken, dass es nicht ganz so furchtbar gekommen war, wie vier Jahre zuvor. Doch diesmal quittierte das Publikum das unterirdische Abschneiden der Partei um kurz nach 18 Uhr nur noch mit stillem Entsetzen. Fast hätte man eine Stecknadel fallen hören können, als der Balken schon bei kaum mehr als 20 Prozent kleben blieb. Das größte Desaster der SPD in der Nachkriegsgeschichte hatte allen Anwesenden für ein paar Sekunden buchstäblich die Sprache verschlagen.
Würden jetzt Köpfe rollen? Diese Frage trieb nicht nur viele Parteigänger um, sondern auch die anwesenden Journalisten. Zuvor hatten ja schon Gerüchte die Runde gemacht, Martin Schulz könnte das Handtuch werfen. Gespanntes Warten auf den Auftritt des Vorsitzenden. Um kurz nach 18.30 Uhr kam er auf die Bühne, im Schlepptau die gesamte Führungsriege. Ernste Gesichter. „Mit dem heutigen Abend endet zeitgleich unsere Zusammenarbeit mit der CDU/CSU“, rief Schulz in die Menge. Es war der Schlüsselsatz seines kurzen Auftritts. Der glücklose Kanzlerkandidat hatte ein Mittel gefunden, seinen Kopf politisch aus der Schlinge zu ziehen. Wäre ein völlig ahnungsloser Zeitgenosse genau in dem Moment ins Willy-Brandt-Haus gekommen, als die Bemerkung fiel, er hätte meinen können, hier werde ein großer Sieg gefeiert. Mit geradezu frenetischem Jubel quittierten die SPD-Anhänger die Aussicht auf eine sozialdemokratische Wiedergeburt in der Opposition. Wer diesen Moment miterlebt hat, der weiß, wie schwer es noch werden wird, die Sozialdemokraten von diesem Kurs in den kommenden Wochen und Monaten wieder abzubringen. Zumal Schulz diese Position ja sogar noch nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen wiederholt hat.
Am Abend des 24. September war eine neue Groko jedenfalls außerhalb jeder Vorstellungskraft. „Ich geh jetzt mal n Bier trinken“, sagte da zum Beispiel der ehemalige Berliner Landeschef Jan Stöß. Er wirkte wie befreit. Ein anderer Genosse schwenkte ein Schild, auf dem stand „Nie wieder mit Mutti“. Der Schmerz über die eigene Niederlage schien plötzlich für ein paar Augenblicke vergessen zu sein. Wirklich nach Freiern war natürlich trotzdem keinem zumute. Einen sehr pragmatischen Dialog vor diesem Hintergrund hatte ich schon am Wahlabend des Jahres 2009 im Willy-Brandt-Hauses belauschen können. Bereits kurz nach 18 Uhr riefen sich damals zwei Kellner zu: „Da können wir heute früh Schluss machen“.