Wolfgang Thierse: „Franziskus ist eine große Chance für die Kirche“
Der Bundestagsvize ist Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Er hofft auf einen Aufbruch im Vatikan.
Berlin. Der Vizepräsident des Bundestages, Wolfgang Thierse (SPD), sieht im neuen Papst Franziskus eine große Chance für einen Aufbruch in der katholischen Kirche. Der 69-Jährige ist Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken.
Herr Thierse, rückt Europa in der katholischen Welt mit einem Papst aus Lateinamerika jetzt eher in den Hintergrund?
Thierse: Vermutlich ja, ein wenig. Aber das kann der katholischen Kirche nur gut tun. Immerhin lebt fast die Hälfte aller katholischen Christen in Lateinamerika. Dieses Gewicht wird nun auch an der Spitze der Kirche deutlich. Dass Europa nicht mehr im Zentrum römisch-zentralistischer Aufmerksamkeit steht, ist sogar ein Vorteil für die europäischen Kirchen.
Warum?
Thierse: Dieser Papst ist eine große Chance für mehr Offenheit, für die tatsächliche Vielgestaltigkeit und Widersprüchlichkeit der katholischen Weltkirche.
Was erwarten Sie sich konkret?
Thierse: Weniger römischen Zentralismus, mehr Kollegialität sowie mehr Freiheit und Kompetenzen für die nationalen Bischofskonferenzen.
Unter seinem Vorgänger Benedikt haben sich die Probleme in der römischen Kurie eher verstärkt. Was muss sich hier ändern?
Thierse: Eine Reform der Kurie ist dringend notwendig. Vatileaks-Affäre, Umgang mit den Piusbrüdern, Vertuschungsversuche im Missbrauchsskandal — da sind so viele Fehler im Macht- und Verwaltungsapparat gemacht worden, dass ein personeller Wechsel Not tut.
Franziskus war ein Bettelmönch. Rückt das Thema Armut jetzt stärker in den Fokus der Kirche?
Thierse: Das hoffe ich sehr. Schon wegen des persönlichen Stils des Papstes. Mit der programmatischen Wahl dieses Namens hat der neue Papst ein Zeichen gesetzt für den sozialen Sinn der Kirche.
Mit der argentinischen Regierung hat sich der neue Papst einst genauso angelegt wie mit dem Weltwährungsfonds. Bekommen wir es mit einem politischen Papst zu tun?
Thierse: Der Papst ist zunächst einmal Oberhaupt der Kirche. Aber diese Kirche ist natürlich auch eine Institution von politischem Gewicht. Und wenn er Signale setzt, auf der Seite der Armen und der Verlierer von Globalisierung zu sein, dann kann man das nur begrüßen.