Kommentar Zeit für eine umfassende Steuer- und Abgabenreform

Meinung | Berlin · Das Bundeskabinett hat am Mittwoch weitgehend die Abschaffung des Soli beschlossen. Diese steht verfassungsrechtlich jedoch auf schwankendem Boden.

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Mit pathetischen Worten sollte man in der Politik sparsam umgehen. Sie nutzen sich schnell ab. Der aktuelle Beschluss des Bundeskabinetts zum Abbau des Solidaritätszuschlags hat bei allen Unzulänglichkeiten aber durchaus das Prädikat „historisch“ verdient. Abgesehen von einer mehrjährigen Unterbrechung müssen ihn die Beschäftigten schon seit der Wiedervereinigung zahlen. Wenn man so will, also bereits ein halbes Arbeitsleben lang, was auch dazu führte, dass das Unnormale zur Normalität geworden ist - zu einer der vielen Posten in der monatlichen Lohnbescheinigung.

Nun also die Kehrtwende, die zweifellos schon viel früher hätte vollzogen werden müssen. Nach Berechnungen von Experten übersteigen die Einnahmen aus dem Soli spätestens seit 2011 die Ausgaben für den Aufbau Ost, für den er politisch gedacht war. Und selbst, als danach wegen der guten Konjunktur auch alle sonstigen Einnahmequellen des Staates so üppig zu sprudeln begannen, dass die Steuerschätzer ihre Vorhersagen immer wieder nach oben korrigieren mussten, zeigte sich die Bundesregierung unbeeindruckt. Irgendein neues Ausgaben-Programm stand einer spürbaren Entlastung der Bürger immer im Wege. Ihre Freude sollte sich auch jetzt in Grenzen halten. Das Soli-Geschenk wird erst 2021 verteilt. Just im Jahr der nächsten regulären Bundestagswahl. Eine durchsichtige politische Absicht. Weit davor, nämlich noch in diesem Herbst will die Bundesregierung allerdings ein Klimapaket schnüren, von dem noch keiner weiß, welche Mehrbelastungen damit für den Einzelnen verbunden sein könnten. So richtig und wichtig der Startschuss für das Ende des Solis ist, so vernünftig wäre es deshalb gewesen, das Vorhaben in eine umfassende Steuer- und Abgabenreform einzubetten. Aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit auch bis hin zu einem höheren Spitzensteuersatz. Aber eine solche Nummer ist für diese ausgelaugte Große Koalition offenbar zu groß.

Stefan Vetter

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Dabei steht die jetzt anvisierte Teilabschaffung der Solis verfassungsrechtlich ohnehin auf schwankenden Boden. Um der Gefahr zu begegnen, dass Karlsruhe das Gesetz kassiert, sollte die Forderung des Bundeswirtschaftsministers ernst genommen werden, den Soli-Abbau wenigstens mit einem Enddatum zu versehen. Denn wenn der Solidarpakt für den Aufbau Ost Ende 2019 ausläuft, stellt sich tatsächlich die Frage, ob die seiner finanziellen Flankierung dienende Abgabe noch weit darüber hinaus Bestand haben kann - auch wenn sie dann nur noch von wenigen Bestverdienern gezahlt werden soll. Im September beginnt der parlamentarische Hürdenlauf für den Gesetzentwurf, eine gute Gelegenheit, um die größten Unzulänglichkeiten noch zu beseitigen.