Zum Tod von Roman Herzog Zum Tod von Roman Herzog: Der Deutschland den Ruck bringen wollte

Der ehemalige Bundespräsident ist im Alter von 82 Jahren gestorben. Kanzlerin Merkel würdigt seine Aufrufe zu Reformen.

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Berlin. Außer Richard von Weizsäcker, der den 8. Mai 1945 einen "Tag der Befreiung" nannte, hat kein Bundespräsident mit einer einzigen Rede, sogar mit nur einem einzigen Wort, so sehr Geschichte geschrieben, wie Roman Herzog. "Durch Deutschland muss ein Ruck gehen". Der Satz von 1997 war beileibe keine Eintagsfliege, und doch hat der siebte Bundespräsident nicht sehr viele bleibende Spuren hinterlassen. Am Dienstag ist er 82jährig gestorben.

Eigentlich war 1994, nach der Wiedervereinigung, ein Ostdeutscher dran, ins Schloss Bellevue zu ziehen, Herzog, damals Bundesverfassungsgerichtspräsident, und seine Ehefrau Christiane, rechneten selbst nicht damit. Doch der Kandidat, den sich Kanzler Helmut Kohl (CDU) ausgesucht hatte, der damalige sächsische Innenminister Steffen Heitmann, redete in Interviews wie ein früher Pegida-Vertreter. Gegen "Tabus" der Geschichte, gegen Ausländer, gegen die Gleichberechtigung. Er war nicht haltbar. Nicht von ungefähr ist er im letzten Jahr wegen Angela Merkels Flüchtlingspolitik aus der CDU ausgetreten.

Herzog setzte sich im dritten Wahlgang damals gegen den Sozialdemokraten Johannes Rau durch - auch weil die FDP ihre Kandidatin Hildegard Hamm-Brücher schließlich zurückzog, die, Zufall des Schicksals, erst vor einem Monat ebenfalls verstorben ist. Herzog war einerseits Kohls Mann - bei ihm hatte der junge Jurist 1973 als Staatssekretär in Rheinland-Pfalz seine politische Karriere begonnen, andererseits ein unabhängiger Geist.

Das zeigte sich spätestens mit der "Ruckrede", die in eine Zeit fiel, als die Deutschen anfingen, des damals schon 15 Jahre amtierenden Kanzlers überdrüssig zu werden. Schon zuvor hatte Herzog sich für die Einbürgerung von "Gastarbeitern" und sogar die doppelte Staatsangehörigkeit ausgesprochen. Es war auch eine Zeit, in der die SPD unter Führung Oskar Lafontaines im Bundesrat alles blockierte, was der Kanzler doch noch an Veränderungen vorschlug.

"Die Welt ist im Aufbruch, sie wartet nicht auf Deutschland", sagte Herzog und schimpfte über die die Zögerlichkeit und die Angst vor Reformen. "Wir müssen Abschied nehmen von liebgewordenen Besitzständen. Alle sind angesprochen, alle müssen Opfer bringen, alle müssen mitmachen."

Aber damals machte kaum jemand mit. Ein Jahr später wiederholte der Bundespräsident seine Rede bei der Eröffnung des DGB-Bundeskongresses. Was er dort ausführte, ähnelte bis ins Detail den Reformen der Agenda 2010 - die der nun amtierende Kanzler Gerhard Schröder (SPD) aber erst 2003 aufsetzte. Allerdings, das Schröder-Blair-Papiere mit der Förderung von Dienstleistungen und der Öffnung der Finanzmärkte entsprach durchaus den Gedanken des Bundespräsidenten. Als es umgesetzt wurde, war seine Amtszeit jedoch schon fast abgelaufen, Rot-Grün setzte 1999 Johannes Rau als neuen Bundespräsidenten durch.

Herzog hatte das Pech des zu frühen Warners. Vielleicht war er auch die falsche Person für die von ihm beschworene Aufbruchstimmung in Wirtschaft und Gesellschaft und im Bildungswesen. Sein niederbayerischer Dialekt, seine barocke Erscheinung - das alles passte nicht recht zu einem innovativen Programm. Sein Vater war Direktor einer Schnupftabakfabrik gewesen. Und nach dem Tod seiner Frau Christiane im Jahr 2000 heiratete er eine Adelige, Alexandra Freifrau von Berlichingen.

Das Antreibischere hat ihn jedoch auch nach dem Amt nicht losgelassen. Deutschland beständig verbessern, Deutschland leistungsfähig halten, das war seine Mission. Er hat 2000 maßgeblich an der Charta der Grundrechte in Europa mitgearbeitet, und gehörte bis zuletzt dem "Konvent für Deutschland" an, einer Gruppe von Ex-Politikern und Wirtschaftsleuten wie Hans-Olaf Henkel oder Klaus von Donhanyi, die beständig Vorschläge für Reformen des politischen Systems machen. Allerdings werden diese Ratschläge immer seltener erbeten; der Konvent wirkte zuletzt eher wie Waldorf und Statler aus der Muppet-Show: Grantler im Zuschauerrang. Für Angela Merkel schrieb Herzog als Chef einer nach ihm benannten Kommission 2003 Grundzüge für ein Programm zur Reform der Sozialversicherungen, das die CDU dann auf ihrem Bundeparteitag in Leipzig beschloss. Inklusive Kopfpauschale.

Angela Merkel zog damit 2005 in den Wahlkampf - und ging fast baden. Merkel hat es schnellstmöglich ad acta gelegt. Am Dienstag würdigte die Kanzlerin, die auch schon im zwölften Amtsjahr ist, dass Herzog "in klarer Sprache" immer wieder gefordert habe, dass sich das Land stetig weiter entwickeln und erneuern müsse. Es klang so, als könnte sie seine Stimme jetzt wieder brauchen.