Buchvorstellung Kanzlerkandidatur der CDU - Was wagt Friedrich Merz?
Der CDU-Politiker stellt in Köln das Buch „Mehr Politik wagen“ des SPD-Landespolitikers Jochen Ott vor. Es geht um Volksparteien, Demokratie-Krise und Vitalkuren – und die Kanzlerfrage.
„Nein.“ Friedrich Merz sagt es kurz und bestimmt, als ein Reporter vorsichtig nach Annegret Kramp-Karrenbauer und der Kanzlerkandidatur innerhalb der CDU zu fragen trachtet. Und er wiederholt sein „Nein“, als der Kölner Verleger Damian van Melis (Greven Verlag) den Politiker einer kleinen Fragerunde außerhalb des Protokolls aussetzen will: „Nein. Ich habe Termine.“ Er weiß, was droht. Nur so viel gab Merz zur Einordnung seines resoluten Auftretens: „Wir sind hier bei einer Buchvorstellung in Köln. Und da beantworte ich keine Fragen zum künftigen Kanzler der Bundesrepublik, noch dazu gar keine Wahlen anstehen. Das ist eine völlig irre Diskussion. Punkt.“ Und sein Blick wirft dabei jene Falten auf die Stirn, die Distanz zum CDU-Prozess und zum Moment nachweisen sollen. Merz‘ Agenda sieht nicht vor, bei jeder Gelegenheit geschwätzig zu sein, um danach im anhaltenden Prozess der Profilierung innerhalb der CDU zerrieben zu werden. Das würde er, kann man anfügen, gerne AKK überlassen – im täglichen Berliner Politikbetrieb. In der Politik muss man auch mal am Ufer warten können, bis die Leichen an einem vorbeitreiben.
Von einer Urabstimmung in der CDU hält Merz nichts
Was Merz aber sagen will, sagt er auch an diesem Morgen in Köln, als der CDU-Mann das Buch des SPD-Landespolitikers Jochen Ott („Mehr Politik wagen“) vorstellt, weil sich die beiden als Kontrahenten, aber respektvoll im Aufsichtsrat des Köln-Bonner Flugfhafens vor eineinhalb Jahren begegnet und über ihr „gegenseitiges Rollenverständnis“ zu tragfähigen Lösungen gekommen sind: Die von der Werte-Union just ins Spiel gebrachte Urabstimmung innerhalb der CDU für eine Kanzlerkandidatur hält Merz für schlecht, obgleich ihm der konservative Flügel seiner Partei durchaus nahe steht: „Ich habe eine ganz grundsätzliche Meinung zum Thema Mitgliederbefragungen, und die ist ziemlich negativ.“ Mitgliederbefragungen spalteten Parteien und würden sie über Gebühr belasten, sagt er, noch dazu stelle man das Vorstands- oder Delegiertenprinzip als Repräsentanz für die Gesamtpartei infrage. Und überhaupt: „Was machen Sie denn mit einer Urwahl, wenn es nicht zwei Kandidaten, sondern drei gibt? Machen Sie dann eine zweite Urwahl, wenn das Ergebnis nicht eindeutig war? Oder geht derjenige durchs Ziel, der 40 Prozent bekommen hat und die anderen beiden 30? Also, da stecken so viele Probleme auch für die Folgezeit drin, ich bin da kein Freund von solchen Urwahl-Entscheidungen“, sagte Merz und hatte damit schon Teile des Ott-Werks aufgegriffen, weil es in dem 90-Seiten-Pamphlet um eine Bewerbung für mutige Politik geht, die von starken Köpfen gesteuert und in der politischen Mitte ausgefochten wird und dann eben auch – und das ist aus Sicht der SPD hinsichtlich ihrer Vorsitzfrage ebenfalls von Interesse – von Plebisziten und Urabstimmungen nichts hält.
Abschaffung der Wehrpflicht ein Fehler
Sowohl Merz als auch Ott haben mit dem Verfall der Volksparteien ganz offenbar zu kämpfen. „Wir haben keine Freude daran, dass es dem jeweils anderen schlecht geht“, sagt Merz und findet sich beim SPD-Mann, wenn es um die Bestandsaufnahme von aktueller Politik geht, in der „Zynismus und Kälte“ diagnostiziert werden, die einher gehe mit der „Demontage des politischen Gegners“. Überhaupt finden die politischen Gegner – vielleicht in der Not der Volksparteien? – durchaus häufig zusammen, auch, wenn es um Medienkritik, Politik von unten, also eine starke Kommunalpolitik oder fälschlich „angemaßtes Wissen“ bei Politikern geht. Und: Einig sind sie auch, dass die Abschaffung der Wehrpflicht ein Fehler gewesen ist. „Nur durch abwechselnde Pflichten bei Staat und Bürger entsteht eine Bindung“, findet Merz, der sogar eine „allgemeine Wahlpflicht“ für erwägenswert hält. „Wenn wir damit in Europa anfingen und Sitze im Europa-Parlament auch nach der Wahlbeteiligung in den Mitgliedsstaaten vergäben, wäre das ein Incentivierungsprogramm für Europa“, sagt Merz.
Nicht aber einig sind sie bei der neoliberalen Wende, die Ott beklagt, während Merz es unangemessen findet, den Begriff des Neoliberalismus als Kampfbegriff zu nutzen. So werden die Gegensätze offenbar: Der Kölner Ott will „so viel Staat wie möglich und so viel Privat wie nötig“, der Sauerländer Merz sieht es genau andersherum. „Sie überschätzen die Möglichkeiten des Staates als Unternehmer“, sagt er.
Irgendwo in der Mitte dessen verlangte Merz am Dienstag in einem Gastbeitrag für „Die Zeit“, „Arbeitnehmer mehr am wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen zu beteiligen“ und forderte eine verpflichtende Aktien-Altersvorsorge, weil in Deutschland bislang 70 Millionen Menschen „ohne Zugang zu den Kapitalerträgen der Unternehmen“ seien. Womöglich ist das ein Hinweis auf eine mögliche Zukunft des Blackrock-Aufsichtsratsvorsitzenden als Wirtschaftsminister in einem potenziellen Kabinett von Kramp-Karrenbauer. Merz jedenfalls sieht die Dinge im Fluss: „Die Groko hält nicht länger als bis zum Jahreswechsel. Sie ist seit 1,5 Jahren nicht richtig an die Arbeit gekommen“, sagt er und zeichnet das Idealbild, das ihn mit Ott eint: Die große Koalition als Ausnahme. Und nicht als Regel.