Debatte um Migrationspaket Lindhs Sorge um die Streitkultur

Düsseldorf · Migrationsrede des SPD-Abgeordneten im Bundestag macht Furore.

 „So kann man nicht mehr streiten“: Helge Lindh (SPD) kritisiert einen reinen Emotionalismus in der Debattenkultur.

„So kann man nicht mehr streiten“: Helge Lindh (SPD) kritisiert einen reinen Emotionalismus in der Debattenkultur.

Foto: Fischer, Andreas (22345680)/Fischer, Andreas (f22)

Es war eine Rede, die nachwirkt. Ohne Manuskript, aber mit einem Anliegen, das über den Anlass der Debatte hinausweist. Leidenschaftlich verwahrte sich der Wuppertaler SPD-Abgeordnete Helge Lindh am vergangenen Freitag im Bundestag vor der Verabschiedung des umstrittenen Migrationspakets gegen manche Attacken von Linken, Grünen und Flüchtlingshelfern. „Wenn der Idealismus zum Absolutismus wird, dann stirbt die Diskursfähigkeit.“ Das Besondere: Lindh (42) engagiert sich selbst seit Jahren für Integration, Flüchtlinge und die Seenot­rettung.

Darum verteidigt der Sozialdemokrat auch vier Tage nach der Verabschiedung jede noch so scharfe Kritik an dem Gesetzespaket. „Aber die Grenzen sind überschritten, wenn uns vorgehalten wird, Grundwerte und Menschenrechte zu verraten und keine Lehren aus dem Nationalsozialismus gezogen zu haben“, sagt er. Und solche Anfeindungen seien ihm eben nicht nur in den digitalen Netzwerken, sondern auch „in vielen Ausschusssitzungen und Parlamentsreden begegnet“.

Auch Lindh hat manche Bedenken bei dem Gesetzespaket

Lindh hat selbst Bauchschmerzen bei einigen Stellen des Migrationspakets. Dass ursprünglich auch Flüchtlingshelfer hätten kriminalisiert werden können für den Fall, dass sie Abschiebetermine weitergeben, „halte ich für inakzeptabel“. In letzter Minute wurde der Passus noch verhindert. Und auch die jetzt eröffnete Möglichkeit, dass Bundesländer in Notfällen Abschiebehäftlinge in normalen Gefängnissen unterbringen können, bezeichnet Lindh als „grenzwertig“.

Aber es dürfe auch in einer hoch emotionalen Debatte nicht sein, dass die Gegner des Pakets den Befürwortern absprechen, auf dem Boden des Staates zu stehen. Lindh sieht die Diskussionskultur innerhalb und außerhalb des Parlaments dabei stark getrieben von den Mechanismen der digitalen Netzwerke. „Da geht es darum, laut und pointiert zu sein und nicht differenziert.“ Weil sich der Rechtspopulismus durch das Laute auszeichne, sei man verleitet, laut dagegenzuhalten. „Aber wenn alle laut sind, wird es nur noch lauter und es setzt sich der durch, der am aggressivsten ist. So kann man nicht mehr streiten.“

Lindhs Rede, in der er über den schmalen Grat „zwischen Gerechtigkeit und Selbstgerechtigkeit“ und „zwischen Heiligkeit und Scheinheiligkeit“ sprach, hat für Furore gesorgt. Eine Reihe von Medien griffen den Auftritt auf. Lindh hofft auf eine Debattenkultur, die zwar klar benennt, was antidemokratisch ist und auch unter Demokraten heftiger streitet als bisher, „aber sich nicht anstecken lässt von einem reinen Emotionalismus“. Das sei ein hehres Ziel: „Die Kommunikationspraxis geht gerade in eine andere Richtung.“ Aber mit dieser Polarisierung gingen die Zwischentöne verloren. „Die Realität ist nicht einwandfrei.“

Nicht einwandfrei ist für Lindh auch die Einordnung des Migrationspakets durch den CDU-Abgeordneten Jürgen Hardt. Der hatte geschrieben: „Vielleicht hat der heilsame Schock der verlorenen Europawahl unseren Kolleginnen und Kollegen von der SPD klar gemacht, dass eine Regierungsmehrheit handeln muss, wenn Handlungsbedarf offensichtlich ist.“ Wenn das so wäre, sagt Lindh, „würde es alle Vorurteile gegenüber der Politik bestätigen.“ Die Weichen für den Kompromiss seien aber schon lange vor der Wahl gestellt worden.